Innenstadt:Ballermann im Kopf

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Was derzeit nachts auf Münchens Plätzen geschieht, wird gern als "Ballermann-Party" verunglimpft. Doch passt der Begriff? Ein Blick ins Handbuch für Bierkönige gibt eine eindeutige Antwort.

Glosse von Max Ferstl

Es gibt in München einen neuen Kampfbegriff, den man eigentlich mit der Insel Mallorca verbindet: Ballermann. Er ist explizit nicht positiv gemeint, seit sich Menschen mangels Alternativen auf den Straßen und Plätzen der Innenstadt treffen und feiern. Es herrsche ein "Ballermann vor der Haustür", klagte vor Kurzem eine Bewohnerin der Thalkirchner Straße in der SZ. Und die tz titelte: "Ballermann-Partys lassen Münchner verzweifeln". Als Kronzeugin wird ein zehnjähriges Mädchen zitiert, das OB Dieter Reiter in einem Brief um Hilfe bat: Der Lärm sei "echt unerträglich". Die Ballermann-Party ist in dem Zusammenhang ein schwerwiegender Vorwurf. Das feiernde Volk soll als grölender Mob wahrgenommen werden, als rücksichtslos und ein bisschen primitiv. Nur: Haben in München wirklich solche Partys stattgefunden?

Um den Streit zu versachlichen, hilft nüchterne Wissenschaft: Dem fiktiven Handbuch für Bierkönige zufolge (Krause, M. et al.) liegt nur dann eine Ballermann-Party vor, wenn folgende Merkmale erfüllt sind: Die Musik muss von enormer Lautstärke, geringer Qualität und ohne Textkenntnis mitsingbar sein (empfohlen: deutscher Schlager). Eines der Lieder muss von Helene Fischer stammen. Alkohol ist maßlos und aus Masskrügen zu konsumieren, idealtypisch per Strohhalm. Ein signifikanter Teil der Feiernden muss aus Fußballmannschaften auf Saisonabschlussfahrt bestehen und/oder neonfarbene Unterhemden mit dem Aufdruck "Helene-Fischer-Ultras" tragen. Die Feier beginnt spätestens mittags. Sie endet am Strand, liegend, in die aufgehende Sonne blinzelnd.

Dass so etwas am Gärtnerplatz oder in der Thalkirchner Straße passiert sein soll, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Über laute Schlagermusik zur Mittagszeit steht nichts im Polizeibericht. Gehäufte Sichtungen von neonfarbenen Unterhemden sind ebenfalls nicht bekannt - in einer modebewussten Stadt hätte dies sicher zu Protesten und möglicherweise einem Bürgerbegehren geführt. Und wäre es nicht aufgefallen, wenn eines Morgens Hunderte Betrunkene am Isarufer gelegen hätten? Plausibler ist, dass die Beschwerdeführer schlicht keine Ahnung hatten, was eine Ballermann-Party im Kern ausmacht. Muss ihnen nicht peinlich sein. Dass sie es etwas übertrieben haben, allerdings schon.

© SZ vom 31.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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