Wirtschaft:Augsburg trifft die Krise wieder besonders hart

Wirtschaft: In Augsburg gingen Mitarbeiter von MAN Energy Solutions vor das Werk, um gegen den Abbau von Arbeitsplätzen zu demonstrieren.

In Augsburg gingen Mitarbeiter von MAN Energy Solutions vor das Werk, um gegen den Abbau von Arbeitsplätzen zu demonstrieren.

(Foto: IG Metall)

Stellenstreichungen hier, Werksschließungen da: Wann immer Krise herrscht, ist es in Augsburg besonders schlimm. Doch es gibt Perspektiven, wohin ein Strukturwandel die Stadt diesmal führen könnte.

Von Florian Fuchs und Maximilian Gerl, Augsburg

Es ist mal wieder fünf vor zwölf in Augsburg, und deshalb haben die Demonstranten vor dem Werk von MAN Energy Solutions ihren Protest vergangene Woche auf genau 11.55 Uhr terminiert. Der Abbau von 1800 Arbeitsplätzen steht im Raum, es ist die nächste Hiobsbotschaft für die Region, nachdem bereits der Flugzeugbauer Premium Aerotec zu wenig Auslastung für etwa 1000 Stellen in der Stadt angemerkt hatte. Augsburg trifft es in der Corona-Krise wieder härter als andere bayerische Städte. "Bei Augsburg", sagt der örtliche IG Metallchef Michael Leppek, "hat man irgendwie oft das Gefühl, dass es nur zweiter Sieger wird."

Tatsächlich geht es in Augsburg längst nicht mehr nur um die ganz Großen wie MAN und Premium Aerotec, auch der Waschanlagenhersteller Washtec meldet Verluste. Laut einer Umfrage planen in der schwäbischen Metall- und Elektroindustrie 52 Prozent der Betriebe einen weiteren Stellenabbau. Die örtliche Industrie- und Handelskammer (IHK) sprach angesichts der Lage schon von einem "Tiefschlag für den Wirtschaftsstandort", während im Rathaus vor einem Abschwung gewarnt wurde: "Das, was wir bisher sehen, ist wohl leider erst die Spitze des Eisbergs." Dabei gilt der "Strukturwandel" in Schwabens Kapitale als Kampfbegriff. Unter den Fuggern galt man als renommierte Handels- und Finanzmetropole, später als Textilhochburg und Umschlagplatz für Papier- und Druckerzeugnisse. Heute ist die Stadt im Speziellen für Luft- und Raumfahrt und im Allgemeinen für ihre Metall- und Elektroindustrie bekannt. Noch zumindest.

Für Leppek ist der Strukturwandel vor allem eine Herausforderung, die seiner Ansicht nach mehr gestaltet werden müsste. "Wir haben hier noch eine große industrielle Wertschöpfung, die es so in anderen Städten nicht mehr gibt", sagt er. Darum sei Augsburg als Produktionsstandort in Krisen viel verwundbarer - egal, ob ein Virus diese auslöse oder Trumpscher Protektionismus. Allerdings hat der Aderlass inzwischen ein gefährliches Stadium erreicht: Allein die Pleiten und Stellenstreichungen seit der Jahrtausendwende lesen sich wie der wahr gewordene Albtraum eines jeden Stadtpolitikers. Der Kammgarn-Spinnerei machte Konkurrenz aus Billiglohnländern zu schaffen, 2004 stellte sie den Betrieb ein. 2005 traf es die Walter Bau AG, einst ein großes Bauunternehmen. 2014 strich der Druckmaschinenhersteller Manroland 250 Stellen, 2016 der Papierkonzern UPM 150. Weltbild meldete 2015 Insolvenz an, am Augsburger Stammsitz blieben von 2300 Beschäftigten ein paar Hundert übrig. Und Fujitsu und der Lampenhersteller Ledvance kündigten schon vor Corona an, ihre Augsburger Werke zu schließen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Früher also, sagt Leppek, sei es auch schon Firmen schlecht gegangen. Aber wenn Osram Schnupfen hatte, sind die Arbeiter beim Roboterbauer Kuka oder bei Fujitsu untergekommen. Wenn es dann denen nicht gut ging, hatten sich die anderen wieder erholt. Nun aber sind zu viele große Player nicht mehr da, als dass diese Wanderschaft weiter funktionieren würde. Obwohl es Lichtblicke gibt: Renk etwa, Spezialist in Antriebstechnik, geht es sehr gut. So einfach dem Schicksal ergeben will sich Leppek jedoch nicht. Einen Standort wie Augsburg, sagt er, brauche der Freistaat, gerade angesichts internationaler Krisen. "Wir haben gerade erlebt, was passiert, wenn Lieferketten zusammenbrechen und wir hier nicht mehr fertigen."

Im Juli lag die Arbeitslosenquote für den Raum Augsburg - zu dem in der Statistik der Arbeitsagentur auch Aichach und Schwabmünchen zählen - bei 4,6 Prozent. Das ist höher als die bayernweite Quote von 3,9 Prozent, aber niedriger als die der Agenturbezirke München (fünf Prozent) und Nürnberg (sechs Prozent). Doch der Arbeitsmarkt hinkt meist der konjunkturellen Entwicklung hinterher, zudem dürfte das Instrument der Kurzarbeit bislang Massenentlassungen verhindert haben. Gewerkschafts- und Firmenvertreter hoffen darum auf eine Verlängerung der Regeln zum Kurzarbeitergeld.

Das allein wird keine Wunder wirken. In Augsburg wurden zuletzt die Rufe nach Hilfen und langfristigen Strategien lauter. Matthias Köppel, bei der örtlichen IHK für Standortpolitik zuständig, empfiehlt, "alte Kompetenzen zu vitalisieren". Augsburg sei einst in der Umwelttechnologie führend gewesen, hier könne man ansetzen. Die Entwicklung neuer, leichter Verbundstoffe sind für die Luftfahrt interessant. Hoffnung macht auch der Dienstleistungssektor: Allein im Bereich Erziehung und Unterricht arbeiteten vor Corona rund 11 500 Menschen - ein Plus von mehr als 15 Prozent gegenüber 2015. Das Wirtschaftsministerium sieht unter anderem Möglichkeiten im Bereich Wasserstoff; etwa mit MAN Energy Solutions diskutiere man über eine Förderung für die Entwicklung von Wasserstoff-Elektrolyseuren. Plötzlich steht sogar der Aufbau einer staatlich geförderten Batteriezellenfertigung wieder zur Debatte. Den Wettbewerb um eine solche hatte Augsburg 2019 gegen Münster verloren. Zweiter Sieger, mal wieder.

Vielleicht muss sich Augsburg auch nur ein bisschen besser verkaufen. Zum Beispiel gilt man in der bayerischen Clusterpolitik - auch deshalb sieht Leppek Augsburg oft als zweiten Sieger - als Zentrum für Ressourceneffizienz. Das klingt so ein bisschen nach Müllabfuhr. Zentrum für Digitalisierung, Automatisierung, Künstliche Intelligenz, Augsburg als Wasserstoff-City: Damit könnten die Leute etwas anfangen, sagt Leppek. "Dann würde sich auch etwas bewegen." Solche Impulse erhoffe er sich auch künftig von der Staatsregierung. Köppel sagt, ein paar Hausaufgaben müsse Augsburg noch machen, so brauche es mehr Hochqualifizierte in der Stadt. Aber grundsätzlich seien alle Voraussetzungen da, und vor dem "Strukturwandel" an sich brauche ohnehin niemand Angst haben: "Eine wirtschaftliche Entwicklung ist nie abgeschlossen."

Tatsächlich kam die Stadt bislang aus jeder Krise wieder heraus - wenn auch ganz anders, als sie hineingekommen war. Müsste man für sie eine Figur in ihrem berühmtesten Exportschlager erfinden, der Augsburger Puppenkiste: Ein "Stehaufmännchen" könnte die passende Wahl sein.

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