Salzburger Festspiele:Hinter den Twittergewittern

Zdenek Adamec 2020, Salzburger Festspiele

"Zwischendurch ist Journalismus almost alright." Na, da schau einer an: Premiere des neuen Handke-Stückes in Salzburg.

(Foto: Salzburger Landestheater/Peter Handke)

In Salzburg wird Peter Handkes neues Stück "Zdeněk Adamec" uraufgeführt. Das Spiel ist spröde, Bilder entstehen kaum. Aerosolausstoß durch Jubelschreie? Musste man eher nicht befürchten.

Von Christine Dössel, Salzburg

Wenn man so will, hat Peter Handke mit "Zdeněk Adamec" sein erstes Recherchedrama geschrieben, beruhend auf einem wahren Selbsttötungsfall. "Recherchen, du? Ganz was Neues!", lässt er darin eine Stimme höhnen. Das klingt nach einer schönen Selbstironie, die stellenweise immer wieder aufflackert, wie dieser kurze Text - "Eine Szene" - ohnehin etwas Leichtes, Altersmildes, Weltumarmendes hat. Wie mit einem Lächeln geschrieben, einem hintergründigen Schmunzeln im Gesicht, welches bei der Lektüre durchaus überspringen kann auf die Leserin, den Leser. Spätestens bei der Uraufführung des Stücks im Salzburger Landestheater verhärten sich die Gesichtszüge dann aber wieder.

Der wahre Fall, den das Stück faktisch wie poetologisch in einem Stimmenkonzert umkreist, heißt wie sein Titel: "Zdeněk Adamec". Zdeněk Adamec war ein junger Tscheche aus Humpolec, Böhmen, der sich im März 2003 im Alter von 18 Jahren auf dem Wenzelsplatz in Prag mit Benzin übergossen und angezündet hat. Anders als der tschechische Selbstmörder Jan Palach, der sich 1968 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Panzer am selben Ort verbrannt hat und dafür bis heute als Nationalheld gefeiert wird, geriet Adamec als Noname in Vergessenheit. Sein Suizid wurde als die Tat eines "mehr oder weniger Verrückten" abgetan. Sie wurde in einer Demokratie als unangemessen empfunden, als "unnecessary and inappropriate", so zitiert Handke den damaligen Staatspräsidenten. Wie er hier überhaupt gerne englische Ausdrücke und Songtitel einstreut - sein Tribut ans Internetzeitalter.

Zdeněk Adamec, Sohn eines Grabsteinmetzes, Schüler der Technischen Mittelschule in Pelhřimov, war ein Einzelgänger und Computernerd, "ein Alleinspieler", wie es bei Handke heißt, Mitglied der Hacker-Gruppe "The Darkers", die städtische Stromzufuhren lahmlegte. Am Tag seiner Selbsttötung war er in den frühen Morgenstunden mit dem Überlandbus nach Prag gefahren. Leicht bewölkter Himmel, minus ein Grad. Der letzte Mensch, mit dem er vor seiner Tat gesprochen hat, war eine Klosettfrau am Prager Busbahnhof.

All das und vieles mehr erfahren wir in Handkes Stück. Auch den Grund für den öffentlichen Suizid des 18-Jährigen, den dieser in einem dreiseitigen Abschiedsbrief unter dem Titel "Aktion Fackel 2003" benannte: den Zustand der Welt. Nicht die Menschen seien im heutigen System entscheidend, sondern "Geld und Macht". Wobei Handke weiß: Wenn Zdeněk - womöglich ein verfrühter "Fridays for Future"-Aktivist - von "Geld und Macht" schreibt, dann will er eigentlich "etwas anderes" sagen. Etwas, wofür es keine Übersetzung gebe. Etwas, das man "nur fühlen" könne. Handke ist da ganz empathischer Sympathisant und macht in Adamecs Abschiedsbrief gar einen "Psalm" aus, einen "Menschenkindjammer".

Wie inszeniert man das Hinterfragen jeder einzelnen Behauptung?

Es ist dieses Gefühl, dem Handke in seiner recherche sentimentale hinterher schreibt. Er ist auf der Suche nach einer tieferen Wahrheit, einer Wahrhaftigkeit hinter den Gegebenheiten, hinter den Interpretationen und Reportagen, hinter dem Twitter- und Stimmengewirr der Welt. Obwohl er durchaus Fakten zum Fall zusammenträgt, Medienberichte, sogar eigenes Recherchematerial. "Spiel hier nicht den Journalisten!", mahnt jemand. Darauf ein anderer: "Zwischendurch ist Journalismus almost alright." Na, da schau einer an. Versöhnlichster, flapsigster Handke-Speak. Zuletzt hatte er Journalisten nur noch beschimpft. Man erinnere sich an seine Reaktion auf die Kritik rund um seine Literaturnobelpreis-Auszeichnung im vergangenen Jahr. An seinen Rückzug ins Elfenbeinschneckenhaus des für sein Werk zu Recht gerühmten, für seine Haltung in Sachen Serbien aber sicher von vielen ebenso zu Recht kritisierten Dichters. Jetzt lugt er mit so viel Froh- und Feinsinn wieder heraus. Aber es klingt auch der gewohnt gegenwartsgenervte Autor durch, wenn vom "Aktualitätenhorror" die Rede ist. "Es ist, als ob es nur noch Aktualitäten gäbe, und hinter tausend Aktualitäten keine Welt."

Die Wahrheit, die Handke den hämmernden News in seinem eigenen Newsroom-Chat entgegensetzt, ist eine der Schönheit, der Sprache und der Fantasie, eine des Innehaltens, des Schauens und Gewahrwerdens. Da ist er ganz der alte Waldgänger und Schneeflockenbetrachter mit Feder am Revers oder auf dem Hut. Eine solche dichtet er auch seinem Zdeněk an, den er zu einem versponnenen, versonnenen Seelenbruder macht und fast ein bisschen zu sehr verklärt. Einerseits. Andererseits wird in diesem Spiel vom Hinterfragen jede Behauptung auch gleich wieder angezweifelt. Fragen wie "Wer sagt das?", "Woher weißt du das?", "Ist das wahr?" ziehen sich in bester Faktencheck-Manier durch den Text, auch wenn es nicht immer handfeste Antworten gibt. Zeitzeuge kann bei Handke schon auch mal der Wind sein. Oder "der Dieb oben im Apfelbaum".

Wie inszeniert man das? Handke gibt vor: "Weiträumige Szene, mit Öffnungen nach allen Seiten, dicht bevölkert mit Feierabendleuten. Kommen und Gehen . . ." Rollen sind in seiner offenen Dialogpartitur nicht vorgegeben. Die Spieler - "Einheimische, Zugereiste, Inländer, Ausländer, Junge, Ältere" - sollten etwas "von späten oder letzten Gästen" haben. In der Inszenierung von Friederike Heller für die Salzburger Festspiele sehen sie wie die Teilnehmer eines Kreativ-Workshops aus. Oder die Mitglieder eines Schauspielkollektivs, die sich das Leben und Sterben des Zdeněk Adamec vorgenommen haben und jetzt erst mal zum Brainstorming ansetzen, bevor sie später sehr jugendtheaterbewegt ein paar Szenen anspielen. Wobei die Truppe kein Geld hat, sonst hätten sie nicht so scheußliche, jede Figur gleich als Typus kennzeichnende Kostüme an.

Beim Schlussapplaus verhielt sich Handke auf der Bühne leicht verstörend

Friederike Heller und ihre Dramaturgin Andrea Vilter haben aus Handkes mäanderndem Hin und Her von Rede und Gegenrede tatsächlich Figuren herausgearbeitet. Eva Löbau in einem grünen Kleid mit Palmzweigmuster und ebensolchen Stiefeln scheint die Dramaturgin zu sein: Klugscheißerin, Realistin, Fakten-Googlerin. Luisa-Céline Gaffron vertritt mit blonden Locken und einem extra-munteren Sprechton die Generation Jugend forsch, zuständig für das "Vollgefühl Freude". Handkes Frau, die Französin Sophie Semin, steht (anfangs im Morgenmantel) mehr für das landfräuliche Prinzip. Sie erzählt dörfliche Anekdoten, radebrechend, mais très charmante. Christian Friedel (Nerd im Rollkragenpulli), Nahuel Pérez Biscayart (Idealist mit argentinischem Flair) und André Kaczmarczyk (Gauklerpoet im Vogelscheuchenlook) verkörpern die Facetten des Zdeněk Adamec. Und Hanns Zischler gibt den Senior der Truppe, den onkelhaften Bildungsbürger, der Fremdworte und Latein einbringt ("de profundis", "Kataklysma"). Diese sieben bilden eine konzentrierte Erzähl- und Zuhörgemeinschaft, so träge, brav und aufmerksam dem jeweils Redenden gegenüber, dass lange nichts in Bewegung kommt. Ein Gesprächszirkeltraining auf einer technisch-kalten Bühne, auf der es den Spielern schwer gemacht wird. Eine stählerne Spitzbogenkonstruktion wie das Skelett eines Gewölbes oder einer Kathedrale hat Sabine Kohlstedt gebaut. Je nach Beleuchtung lässt die Architektur auch an einen Wald denken oder eine Markthalle. Erst allmählich, wenn das Ding sich dreht und auch mal Szenen angerissen oder Songs angestimmt werden, kommt Leben ins spröde Spiel. Aber es gibt keine Vision zu Handkes Text, keine szenische Fantasie. Nur Stimmungen (getragen von den jazzig-leichten Melodien einer Live-Band), Text-Ehrfurcht bis an die Kitschgrenze.

Aerosolausstoß durch Bravostürme war bei dieser Premiere nicht zu befürchten. Im Landestheater saß man so, dass links und rechts der Platz jeweils frei blieb. Eng fühlte es sich trotzdem an. Die angekündigten Proteste der "Mütter von Srebrenica" blieben aus. Dafür erschien Handke beim Schlussapplaus persönlich auf der Bühne. Schmal geworden, ging er die Reihe der Schauspieler ab, tätschelte hier eine Wange, zog dort jemanden am Ohr und umarmte Christian Friedel. Was in Zeiten von Corona etwas verstörend war. Aber was kümmert einen Handke der Aktualitätshorror. Winkend ging er ab.

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