Kunst:Bäume, die Eier legen

Keine Landschaftsmalerei: Das Sprengel-Museum zeigt Gemälde von Carroll Dunham und Albert Oehlen. Die Schau beweist, dass richtig gute Maler auch einem laschen Thema gewaltige Gemälde abringen können.

Von Till Briegleb

Bäume sind ein lasches Thema in der Kunst, seit klassische Landschaftsmalerei altmodisch wurde, so gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Natürlich gab es noch die expressionistische Baumschule von Ernst Ludwig Kirchner, der auf Fehmarn oder in Davos Laub- und Nadelbäume porträtierte, oder Piet Mondrians schrittweise Metamorphose von Astwerk in seine abstrakten Tableaus. Joseph Beuys hat Eichen in Kassel gepflanzt, und Giuseppe Penone bei der vorletzten Documenta einen Findling auf eine Baumgabel platziert. Aber Maler, die sich über Jahre in Serien mit dem Abbild von Großgrün beschäftigen, das hört sich arg fad an. Zumal, wenn diese Beschäftigung ganz absichtlich keinerlei Bezug nimmt zu politischen Brandthemen wie Klimakrise und Naturzerstörung. Einfach nur Bäume malen? Im Ernst?

Albert Oehlen und Carroll Dunham sind sich der Banalität ihrer Wahl voll bewusst, das Charakterlose von Holzgewächsen als Ursprung für Variationen zu benutzen. Oehlen malt sie zunächst vereinzelt ab den Achtzigern und intensiv seit 2013, Dunham sogar seit 2005 in einer maßlosen Zahl von Zeichnungen und großen Gemälden, die nun in der Ausstellung "Bäume" auf ihrer zweiten Station im Sprengel-Museum Hannover gegenübergestellt sind (nach einer erste Station in der Kunsthalle Düsseldorf). "Kein Interesse, mit etwas Interessantem zu beginnen", war beider übereinstimmende Motivation, bei der Suche nach einer neuen malerischen Herausforderung zum Stammbaum der Naturdarstellung zu greifen.

Kunst: Landschaftsmalerei ist ja nicht eben modern. Aber Bäume wie Carroll Dunhams "New Time Storm" (2009) wurzeln eher im Comic.

Landschaftsmalerei ist ja nicht eben modern. Aber Bäume wie Carroll Dunhams "New Time Storm" (2009) wurzeln eher im Comic.

(Foto: Carroll Dunham/Gladstone Gallery, New York and Brussels)

Ganz überraschend ist diese uncoole Vorliebe für das scheinbar Blöde bei beiden Künstlern allerdings nicht. Auf ihre jeweilige Art haben Oehlen und Dunham schon immer eine provozierende Abneigung gegen voll seriöse Malerei und das damit verbundene Pathos gepflegt: Oehlen vor allem am Anfang seiner Karriere in Hamburg während der ironischen Kreativehe mit Martin Kippenberger, Dunham in New York mit seinen comicartigen Phallusnasen- und Schamlippen-Figuren, die sich in einem surrealen Arkadien exponieren. Damit erübrigt sich dann auch die Frage nach dem Ernst. Weder bei Oehlen noch bei Dunham geht es wirklich um Bäume.

Wobei man diese bei Dunham wenigstens noch erkennt. In seinem erzählerischen Stil mit tiefen Wurzeln in den psychedelischen Freak-Comics der Hippiezeit verwandelt er die Holzpflanze in alle möglichen sonderlichen Zustände. Bäume legen Eier, haben Äste wie Joints, kleckern Geschwüre oder sind durchlöchert wie ein Käse. Blätter wirken wie Archen auf einer Flut von Kringeln, manchmal sehen die Baumkronen aus wie die Umrisse amerikanischer Bundesstaaten, wie Thors Hammer, der Querschnitt durch einen Magen-Darm-Trakt, oder sie tragen Froschgesichter. Warum man die ganze Zeit an Drogenmalerei denken muss, ließe sich vielleicht erklären, wenn man selbst LSD geschluckt hätte. Aber wenn nicht, dann ist das einzige, was auf nüchterne Beschäftigung mit der sommerlichen Flora bei dem 70 Jahre alten Carroll Dunham hinweist, auf die Leinwand geschriebene Produktionsdaten: Juli bis März zum Beispiel. So lange hält doch keine Dröhnung.

Kunst: Den Baum vor lauter Rot nicht erkennen: Albert Oehlens "Ohne Titel/Untitled (Baum 70)" (2016).

Den Baum vor lauter Rot nicht erkennen: Albert Oehlens "Ohne Titel/Untitled (Baum 70)" (2016).

(Foto: Albert Oehlen)

Bei Albert Oehlen ist die Herrschaft des Themas ohne Titelzusätze wie "Baum 74" oder "Baum 88" überhaupt nur schwer zu erkennen, selbst wenn man seine Bäume als entlaubte Winterexemplare interpretiert. Die schwarzen Strukturen auf grauweißen Aluminiumplatten haben nur sehr wenig Ähnlichkeit mit den Dingern, die im Wald und neben der Straße wachsen. Eher wirken sie wie Schwarzbilder von Autobahnabfahrten oder Nervennetzen, wie Höhlensysteme und Fleischerhaken, Platinen oder geologische Aufrisse. Das einzige, was diese Strukturen mit Bäumen gemein haben, sind die dicke Mitte mit Verzweigungen oben und unten.

Ansonsten wirken die sehr großformatigen Abstraktionen eher wie die Wiedergeburt des Tachismus als technoider Scherz. Oder wie eine erstaunlich bedeutungskeusche Beschäftigung mit der Kraft des Gegenstandslosen - wenn man einmal von ein paar verkohlten Baumstrukturen auf Autowerbungen von VW, Renault und Iveco absieht, die fast schon so "grün" wirken wie Joseph Beuys' Kampagnenkunst für die Ökologiebewegung in den Siebzigern. Aber ansonsten hinterlegt Albert Oehlen seine titellosen Variationen von Baumgeistern mit Farbverläufen aus Telekom-Magenta, die er selbst als "hysterische Farbe" bezeichnet, oder mit Preußischblau und Zitronengelb. Und er nennt die schwarzen Gliederobjekte durchaus nachvollziehbar "psychopathische menschliche Bäume."

Diese Gewächse sind also hier wie dort Menschen, Visualisierungen von Lüsten, Ängsten, Verirrung und Verwirrung. Es ist eine Landschaftsmalerei geistiger Befindlichkeiten in psychischen Jahreszeiten, verklärt mit einem guten Schuss Ironie. Das ist dann weniger hölzern als biegsam und gar nicht fad.

Albert Oehlen / Carroll Dunham. Bäume / Trees. Sprengel-Museum, Hannover. Bis 18. Oktober. Der Katalog kostet 40 Euro.

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