Tiktok:Das ist die App, die Trump verbieten will

Tiktok: Die App Tiktok ist derzeit Gesprächsthema nicht nur bei Teenagern, sondern auch bei Politikern.

Die App Tiktok ist derzeit Gesprächsthema nicht nur bei Teenagern, sondern auch bei Politikern.

(Foto: LIONEL BONAVENTURE/AFP)

Die halbe Welt spricht über Tiktok. Nur wenige Erwachsene verstehen die App. Eine Erklärung für Einsteiger.

Von Simon Hurtz

Für Donald Trump ist Tiktok ein Spionagewerkzeug des Erzrivalen China. Für Facebook ist Tiktok der größte Konkurrent seiner Unternehmensgeschichte, den es nicht einfach kopieren oder aufkaufen kann. Für Hunderte Millionen junge Menschen bedeutet die App etwas anderes: digitale Heimat. Hier treffen sie ihre Freunde, lachen gemeinsam über lustige Videos und informieren sich über politische Ereignisse.

In knapp vier Jahren hat Tiktok sämtliche Download-Rekorde gebrochen. 2019 spülte die App dem chinesischen Eigentümer Bytedance bereits drei Milliarden Dollar in die Kassen. 800 Millionen Menschen nutzen sie regelmäßig, davon allein 100 Millionen in den USA. Tiktok zieht vor allem junge Nutzer an und hat es geschafft, die Welt der Plattformen kräftig durcheinanderzuwirbeln.

Seinen Siegeszug verdankt Tiktok drei Faktoren: seiner aggressiven PR-Strategie, seinen Nutzern und seinem Algorithmus. Nachdem Bytedance Ende 2017 die App Musically schluckte und mit Tiktok fusionierte, investierte das Unternehmen rund eine Milliarde Dollar in Anzeigen bei der direkten Konkurrenz wie Facebook, Instagram und Twitter. Prompt sprang die App an die Spitze der Download-Charts, binnen weniger Monate erstrahlte ein neuer Stern am Social-Media-Himmel.

Der Erfolg von Tiktok steht und fällt mit der Kreativität seiner Nutzer. Die kurzen Videos sind oft witzig und subversiv. Wer sich auf das Format und die Ausdrucksform einlässt, kann eine neue Welt entdecken, die auf anderen Plattformen schwer zu finden ist. Die Musikindustrie castet auf Tiktok die Stars von morgen, Agenten suchen nach talentierten Tänzern und Regisseure lassen sich von den Choreografien inspirieren.

Auch Tiktok selbst weiß, was es an seinen Nutzern hat. Kürzlich stellte das Unternehmen den "TikTok Creator Fund" vor. In den kommenden drei Jahren sollen bis zu zwei Milliarden Dollar an Influencer ausgeschüttet werden. Das soll die erfolgreichsten Nutzer davon abhalten, zu anderen Plattformen wie Instagram oder Triller abzuwandern, die mit viel Geld versuchen, die Tiktok-Kreativen abzuwerben.

Kreativ sind aber nicht nur die jugendlichen Influencer, sondern auch die chinesischen Programmierer. Die haben einen Algorithmus entwickelt, der Nutzern Inhalte vorsetzt, die sie dazu bringen, die App sobald nicht wieder zu verlassen. Im Gegensatz zu Facebook oder Instagram müssen sich Nutzer dafür keinen Freundeskreis aufbauen. Die Empfehlungen auf der "For You"-Seite werden personalisiert, ohne dass man anderen Accounts folgt. Die App wertet dafür aus, welche Videos man länger betrachtet, wo man kommentiert oder Likes verteilt, und schlägt auf dieser Grundlage neue Inhalte vor.

Ende Juli kündigte Tiktok-Chef Kevin Mayer an, seinen Algorithmus offenzulegen. Experten sollen sich in einem Transparenz-Center den Code anschauen und nachvollziehen können, welche Inhalte Tiktok wem aus welchen Gründen empfiehlt. Für den Moment ist das aber eher geschickte Öffentlichkeitsarbeit als echte Transparenz. "Tiktoks Blogeintrag enthielt keinen einzigen Satz mit überprüfbaren Informationen", sagt Nicolas Kayser-Bril von der Organisation Algorithmwatch. "Sie haben nirgends erklärt, was der Algorithmus exakt tut."

Zunehmend spült dieser Algorithmus auch politische Inhalte nach oben. "Tiktok ist für 'Black Lives Matter', was Twitter für den Arabischen Frühling war", sagte Tiktok-Influencer Kareem Rahma der New York Times. Jugendliche informieren sich über den Klimawandel, organisieren Proteste gegen Rassismus oder spielen dem US-Präsidenten Streiche. Bei Trumps Wahlkampfveranstaltung in Tulsa, Oklahoma, blieben im Juni Tausende Sitze frei. Das lag wohl auch an einer gezielten Aktion der Tiktok-Teenager, die erst massenhaft Tickets reservierten und dann von zu Hause aus über die halbleere Arena lachten.

Sollte Trump Tiktok tatsächlich verbieten, gäbe es einen klaren Gewinner: Facebook, dessen Tochter Instagram viele Nutzer auffangen dürfte und das sich mit seinem Tiktok-Klon Reels schon in Stellung gebracht hat. Ein Verlierer könnte Trump selbst sein. Seit Tagen ist das drohende Verbot das wichtigste Gesprächsthema in der App. Teils bitten Influencer, ihnen zu anderen Plattformen zu folgen. Andere wenden sich direkt an Trump: In einem offenen Brief fordern 20 Creators mit insgesamt mehr als 130 Millionen Followern den Präsidenten zum Umdenken auf. Wenn Trump diesen Appell ignoriert, könnte das für viele Erstwähler ein Grund sein, bei der US-Wahl im November für Joe Biden zu stimmen.

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