Kindesmissbrauch:Ermittlungen im Fall Lügde decken 130 weitere Pädokriminelle auf

NRW-Untersuchungsausschuss zu Kindesmissbrauch

Fälle von massenhaftem Missbrauch wie jüngst auf dem Campingplatz von Lügde sind keine neuen Phänomene.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Die beiden Haupttäter sind verurteilt, doch noch immer kommen weitere Details ans Licht. Nach einer Durchsuchung bei einem 48-Jährigen wird nun gegen mehr als 100 weitere Personen ermittelt, die teilweise noch gar nicht identifiziert sind.

Von Britta von der Heide und Jana Stegemann

Im Zusammenhang mit dem hundertfachen Missbrauch auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen weiteren mutmaßlichen Täter erhoben. Dem 48 Jahre alten Mann werden schwerer sexueller Kindesmissbrauch und Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen, teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen mit. Der Mann ist ein Bekannter des bereits verurteilten Lügde-Haupttäters Andreas V.

Zu den Missbrauchstaten des angeklagten 48-Jährigen soll es nicht auf dem Campingplatz, sondern an anderen Orten gekommen sein. Der Mann aus dem niedersächsischen Kreis Northeim soll sieben Mädchen im Alter bis 14 Jahren sexuelle Gewalt angetan und mit weiteren mutmaßlichen Tätern Bilder und Videos ausgetauscht haben. Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR ist unter den mutmaßlichen Opfern des Mannes auch ein Mädchen, das bereits von Andreas V. auf dem Campingplatz in Lügde missbraucht worden ist.

Im Zuge der Untersuchung gegen den Angeklagten sind die Ermittler auf 130 weitere Tatverdächtige aus ganz Deutschland gestoßen. Hinweise zu ihnen fanden sie auf 43 Datenträgern, die sie Mitte März bei einer Hausdurchsuchung bei dem 48-Jährigen sicherstellten. Gegen diese 130 weiteren Tatverdächtigen wird wegen Missbrauchs und Vergewaltigung von Kindern sowie Besitzes von Kinderpornografie ermittelt.

"Noch ganz am Anfang"

Sie sollen sich überwiegend unter Pseudonym in Chatgruppen und Foren im Internet bewegt haben, um dort Bilder und Videos von Missbrauchshandlungen an Kindern zu verbreiten und zu tauschen. 32 der Beschuldigten seien inzwischen identifiziert worden. Noch befindet sich keiner von ihnen in Untersuchungshaft. "Bei diesen Ermittlungen sind wir noch ganz am Anfang", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Göttingen, "die Polizei arbeitet mit Hochdruck an der Identifizierung weiterer Täter."

Entdeckt worden war der Missbrauchsfall Lügde erst Ende 2018. Einer der beiden Haupttäter, der Dauercamper Andreas V., hatte seit 20 Jahren Mädchen sexuelle Gewalt angetan; ihm war Jahre vor seiner Verhaftung vom Jugendamt noch eine kleine Pflegetochter zugesprochen worden. Ein Untersuchungsausschuss durchleuchtet seit September 2019, inwieweit der massenhafte und jahrzehntelange Kindesmissbrauch durch Versäumnisse und Fehleinschätzungen von Jugendämtern und anderen Behörden begünstigt wurde.

Das Landgericht Detmold hatte die beiden Haupttäter Mario S. und Andreas V. im vergangenen Herbst zu langjährigen Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Strafrechtliche Folgen für Polizisten sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Jugendämtern Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens gab es nicht. Die Staatsanwaltschaft Detmold hatte im März 2020 alle Ermittlungen wegen eines fehlenden hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

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