Griechenland:Laschet erlebt "Aufschrei der Verzweifelten"

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In Moria werde "jeder Politiker zur Projektionsfläche von Hoffnungen", sagt Armin Laschet. (Foto: dpa)

Der Ministerpräsident von NRW muss einen Besuch im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abbrechen und sagt danach: Diese Lage müsse "die ganze Europäische Union wahrnehmen".

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Auf Drängen griechischer Sicherheitsbeamter sah sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet am Dienstag gezwungen, seinen Besuch im Flüchtlingscamp Moria auf der Insel Lesbos abzubrechen. Der CDU-Politiker zeigte sich erschüttert über die Zustände in dem Lager, in dem nahezu 15 000 Geflüchtete seit Monaten ausharren. Angelegt ist das Camp für weniger als 3000 Menschen.

Nach Berichten von Augenzeugen hatten Gruppen afghanischer sowie afrikanischer Flüchtlinge, die im provisorischen Teil von Moria in Zelten und Verschlägen hausen, an Zäunen gerüttelt und "Free Moria!" skandiert. Laschet sagte später, seine Delegation habe "den Aufschrei der Verzweifelten erlebt." Diese Lage müsse "die ganze Europäische Union wahrnehmen."

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Mitarbeiter von Laschet hatten zunächst verbreitet, unter den Flüchtlingen sei das Gerücht umgegangen, Laschet sei "the Prime Minister of Germany", also deutscher Regierungschef. Laschet, der derzeit für den CDU-Bundesvorsitz kandidiert und sich Hoffnungen auf die Kanzlerkandidatur im Herbst 2021 macht, spielte diese Deutung anschließend herunter.

Angesichts der Zustände im Lager werde "jeder Politiker zur Projektionsfläche für Hoffnungen", egal welcher Nationalität er sei. Laschet, einst Europaabgeordneter und NRW-Integrationsminister, fügte hinzu, Europa dürfe "Griechenland jetzt nicht alleinlassen."

Der Ministerpräsident wiederholte das Angebot NRWs, 220 kranke Flüchtlingskinder aufzunehmen

Die Geflüchteten von Moria dürfen das Lager seit Monaten nicht verlassen. Die meisten Internierten sind in Schlauchbooten aus der Türkei gekommen, doch trotz eines Abkommens zwischen der EU und der Türkei verweigert die Regierung in Ankara derzeit ihre Rückholung.

Athen wiederum will die Menschen nicht aufs griechische Festland weiterreisen lassen, weil die EU-Türkei-Vereinbarung zur Rücknahme der Flüchtlinge dort nicht mehr gilt. Im März verhängten die griechischen Behörden zudem eine strikte Quarantäne und Ausgangssperren für das Lager. Diese Restriktionen wurden nun bis Ende August verlängert.

Nach Meinung von Experten grenzt es an ein Wunder, dass in dem völlig überfüllten Lager bisher nur Einzelfälle von Corona-Infektionen entdeckt wurden. Eine mobile Klinik, die jüngst die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" nahe des Lagers errichtet hatte, muss auf Druck der lokalen Behörden wieder abgerissen werden.

Laschet wiederholte auf Lesbos das Angebot Nordrhein-Westfalens, in den kommenden Wochen 220 kranke Kinder und deren engste Angehörige aufzunehmen. NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte vor der Reise im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt, bei Bedarf könne das Land diese Zahl auch auf 500 Menschen erhöhen. Eine solche Geste, so Stamp weiter, könne auch Bundesinnenminister Horst Seehofer helfen, um in Brüssel eine europaweite Lösung voranzubringen.

Bisher scheiterten Versuche, Griechenland zu entlasten und mehr Mittelmeer-Flüchtlinge in der EU zu verteilen, an der Weigerung von sieben osteuropäischen Regierungen, darunter Ungarn und Polen. Nach Schätzung von Experten leben derzeit auf griechischen Inseln circa 30 000 Geflüchtete in Lagern, die für weniger als 9000 Menschen konzipiert worden waren.

Deutschland hat derzeit den Vorsitz im Rat der Europäischen Union, die Bundesregierung hat Fortschritte in der europäischen Flüchtlingspolitik zu einem ihrer obersten Ziele in der Ratspräsidentschaft erklärt. Allerdings zeigte sich Minister Seehofer zuletzt skeptisch über die Aussichten auf eine baldige Lösung: Eine Reform der EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik könne wohl kaum vor 2021 gelingen.

Laschet hat nach eigenen Angaben seine Reise mit Seehofer sowie mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt. Am Montag lobte der CDU-Politiker in Athen nach einem Gespräch mit dem konservativen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis dessen Kurs in der Flüchtlingspolitik: "Herr Premierminister, Sie haben Ordnung in das System gebracht."

Mitsotakis sagte, seine Regierung schütze am Mittelmeer nicht nur eigene Grenzen: "Griechenlands Grenzen sind auch die Grenzen Europas." Laschet erwiderte, in Griechenland beträten Flüchtlinge "auch europäischen Boden - deshalb lässt sich diese Krise nur gemeinsam europäisch lösen."

© SZ vom 05.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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