Öffentlicher Nahverkehr:Plötzlich mitten in einer Grundsatzdiskussion

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In der Corona-Pandemie fuhren bis zu 80 Prozent weniger Fahrgäste mit der MVG. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Der Feriensenat des Stadtrats debattiert hitzig über die Verkehrspolitik von Grün-Rot - und verschiebt einstimmig die Ausbaupläne im Nahverkehr auf 2021.

Von Anna Hoben, München

In einem Feriensenat des Stadtrats muss sich der Sitzungsmotor erst einmal warmlaufen, bevor die Debatte grundsätzlich werden kann - eigentlich ist ja gerade Politik-Urlaub. So lange hat es dann aber gar nicht gedauert am Mittwoch beim Thema Verkehr. Irgendwann trat Christian Müller, Fraktionsvorsitzender der SPD, ans Rednerpult; er frage sich, was da für eine "Mischung aus Kabarettveranstaltung und Schlammschlacht" ablaufe. Bisher habe "die U-Bahn das Auto noch nicht verdrängt". Alexandra Gaßmann (CSU) dankte ihm daraufhin für seine "humoristischen Einlagen".

Eigentlich sollte es um die Ausweitungen im öffentlichen Nahverkehr gehen und darum, dass sie wegen der coronabedingten Verluste bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) um ein Jahr verschoben werden - was am Ende auch ohne Gegenstimmen beschlossen wurde. Zwischendurch entwickelte sich aber eine veritable Grundsatzdiskussion zum Verkehr und zur Verkehrswende, nicht ohne etliche persönliche Berichte über die Transportmittel der jeweils eigenen Wahl, nicht ohne Schuldzuweisungen für die Fehler der Vergangenheit (Stopp des U-Bahn-Baus) und nicht ohne kreative Begriffsschöpfungen wie "autofahrerbezogene Menschenfeindlichkeit".

Letztere warf Jörg Hoffmann (FDP) der neuen Rathauskoalition vor; sie solle "wenigstens ein Moratorium" machen und aufhören, Autofahrer "mit diesen Pop-up-Radwegen zu drangsalieren und schikanieren". Es werde weiterhin viele Menschen geben, die sich wegen der Pandemie nicht trauen, in die U-Bahn zu steigen, die mehr Fahrrad fahren und zu Fuß gehen, aber eben gerade zurzeit auch gerne das Auto nutzen. Es werde niemand verteufelt, entgegnete Paul Bickelbacher (Grüne), sondern es gehe um "Recheneffizienz". Ob Autofahrer wirklich die "Opfer der Nation" seien? "Ich weiß es nicht."

Zeitweise bis zu 80 Prozent weniger Fahrgäste

Während der Ausgangsbeschränkungen und auch danach sind jedenfalls die Einnahmen bei der MVG drastisch gesunken, fürs ganze Jahr rechnet der Betrieb mit Verlusten in Höhe von 190 Millionen Euro. "Jetzt sind wir bei 87 Millionen Euro angelangt", sagte MVG-Chef Ingo Wortmann. Zeitweise betrug der Rückgang bei den Fahrgästen bis zu 80 Prozent. Zurzeit liege die Nachfrage bei etwa 70 Prozent im Vergleich zum Jahresbeginn, so Wortmann. Wie sich die Zahlen weiter entwickeln, sei schwer zu sagen - womöglich stiegen im Herbst viele Fahrradfahrer wieder auf die öffentlichen Verkehrsmittel um.

München habe sich während der Coronakrise von anderen Städten abgesetzt und "auch im Lockdown den ÖPNV zu nahezu hundert Prozent aufrechterhalten", sagte Nikolaus Gradl (SPD), seinem Lob für die Fahrerinnen und Fahrer folgte Klopfbeifall aus den Fraktionen. New York wolle etwa gerade sein Metrosystem stark einschränken, es reiche aber auch der Blick nach Augsburg, wo der Trambahntakt nun 15 statt 7,5 Minuten beträgt. In München soll es anders laufen. Etwa 30 Maßnahmen sind es, mit denen die MVG ihr Angebot verbessern will und auf welche die Fahrgäste nun doch länger warten müssen. Ein schnellerer Takt noch in diesem Jahr zum Fahrplanwechsel soll nur bei der U 2 und der U 4 umgesetzt werden.

Grüne fordern durchgängigen Nachtverkehr

Die Finanzierung dafür wurde am Mittwoch beschlossen. Mittelfristig brauche es freilich "für die Großstadt, die wir sein wollen", auch einen durchgehenden Nachtverkehr, betonte Paul Bickelbacher (Grüne). Die Linke schlug vor, das Vertrauen in den öffentlichen Nahverkehr durch eine Kampagne zu stärken. Nach dem Motto: Wenn alle Maske tragen, ist die U-Bahn sicher. Neben dem realen gebe es auch ein "gefühltes Ansteckungsrisiko", sagte Stefan Jagel (Linke), dort müsse man ansetzen. Die Maske gelte durchaus als Kompensation, wenn ein Sicherheitsabstand von anderthalb Metern nicht möglich sei, bekräftigte MVG-Chef Wortmann. Zusätzlich zur besseren Belüftung lasse man die Verkehrsmittel nun auch häufiger reinigen. Unter diesen Umständen sei der öffentliche Verkehr sicher, das bestätigten Betriebsärzte der MVG und der Deutschen Bahn. Man arbeite außerdem daran, an großen Knotenpunkten Desinfektionsspender aufzustellen, wie es die FDP kürzlich gefordert hatte.

Auch bundesweit solle es eine drei Millionen Euro teure Kampagne für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geben; die Hälfte bezahlten die Länder, die andere Hälfte die Verkehrsunternehmen.

Einigermaßen einig waren sich die Lokalpolitiker im Feriensenat des Stadtrats, dass die Sache mit der Maskenpflicht in den Münchner Verkehrsmitteln insgesamt ganz gut funktioniere - vielleicht besser als in anderen Städten, wie Alexander Reissl (CSU) sagte. Auch wenn doch manche offenbar "nicht wissen, wo ihre Nase ist", so seine Parteikollegin Alexandra Gaßmann, und die Maske mitunter am Kinn hängen hätten.

© SZ vom 06.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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