Psychologie:Depressiv durch Facebook?

Young woman at home sitting on floor using cell phone in the dark model released Symbolfoto property

Einige Studien haben in den vergangenen Jahren ein finsteres Bild der Nutzung von sozialen Medien gezeichnet - womöglich zu Unrecht.

(Foto: Giorgio Fochesato/imago/Westend61)

Sozialen Medien wird häufig nachgesagt, dass sie auf Psyche und Wohlbefinden schlagen. Neue Studien legen nahe: Das ist wahrscheinlich übertrieben - und die Plattformen besser als ihr Ruf.

Von Sebastian Herrmann

Die miese Laune schlägt täglich mit Ansage zu. Eigentlich steht irgendetwas an, doch statt sich der lästigen Arbeit zu widmen und sie hinter sich zu bringen, wandert die Hand zum Smartphone. Die sozialen Medien locken und versprechen Ablenkung. Also scrollt man durch Urlaubsbilder, die irgendwelche entfernten Bekannten auf Facebook gepostet haben, betrachtet auf Instagram die erschreckend austauschbare Pastellfarbenwelt dieser sogenannten Influencerinnen oder liest einen Wutausbruch irgendeines Aktivisten auf Twitter. Und zack - schon wieder ist viel Zeit vertrödelt und die Laune in den Keller verschwunden. So grummelt man vor sich hin, findet das alles total öde und blöd und beginnt sich innerlich selbst zu beschimpfen, dass man mal wieder in dieser elenden Social-Media-Soße gerührt hat, statt sich mit etwas Erfüllendem zu beschäftigen - und sei es nur die Arbeit.

In Anbetracht solcher Erfahrungen öffnet sich der Geist sofort für Nachrichten darüber, wie schlimm sich die Nutzung der sozialen Netzwerke angeblich auf die seelische Gesundheit auswirkt. Derlei Alarmgeschichten sind im Überfluss vorhanden und fügen sich zu einem dramatischen Gesamtbild zusammen. Geht hier also gerade die psychische Gesundheit ganzer Generationen durch die zerstörerische Kraft der sozialen Netze verloren? Vermutlich nicht: Der Einfluss von Facebook, Twitter, Instagram und Co. werde höchstwahrscheinlich übertrieben dargestellt. Die zugrunde liegende Forschung sei vermutlich oft fehlerhaft, schreiben die niederländischen Psychologen Olga Stavrova und Jaap Denissen in einer aktuellen Studie im Fachjournal Social Psychological and Personality Science. Es existiere sehr wenig Evidenz für einen kausalen Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und stark beeinträchtigtem Wohlbefinden, so die Wissenschaftler.

Die Warner rennen offene Türen ein

"Einige Untersuchungen haben ein finsteres Bild von den Auswirkungen von Social-Media-Nutzung gezeichnet", sagen Stavrova und Denissen. Unter den warnenden Stimmen wurde vor allem die US-amerikanische Psychologin Jean Twenge von der San Diego State University gehört, die sich als eine der wichtigsten kritischen Stimmen zur Wirkung von Smartphones und Social Media positioniert hat. 2018 publizierte sie zusammen mit Kollegen eine große Arbeit im Fachjournal Clinical Psychologcal Science, die dramatische Schlussfolgerungen nahelegte. Demnach stehe die Nutzung von Facebook und Co. mit Depressionen und sogar Suiziden in Zusammenhang. Die Publikumsmedien weltweit sprangen auf das Thema auf und trugen die Sorge hinaus in die Welt - mit einer Nachricht wie dieser rennt man bei verunsicherten Eltern und der besorgten Öffentlichkeit schließlich offene Türen ein.

Dass andere Wissenschaftler bald scharfe Kritik an der Methodik und den Schlussfolgerungen der Studie übten, ging anschließend unter, ist ja auch viel weniger spannend. Und auch Arbeiten wie die Meta-Analyse von Candice Owens von der University of California in Davis fanden eher geringe Beachtung: Ihre Auswertung von 40 Einzelstudien ergab, dass die Warnungen über negative psychische Auswirkungen durch digitale Medien stark übertrieben sind.

Was ist Ursache, was ist Wirkung?

Die Psychologen Stavrova und Denissen interessierte besonders, ob sich die psychische Gesundheit einzelner Personen über die Jahre abhängig von deren Social-Media-Nutzung eintrübt. Die meisten Studien vergleichen hingegen Menschen, die Facebook und Co. nutzen, mit solchen, die das gar nicht oder viel weniger machen. Dies lasse aber keinen Schluss über Ursache und Wirkung zu, argumentieren Stavrova und Denissen. Es könne ja sein, dass einsame, unglückliche oder introvertierte Menschen einen stärkeren Hang dazu haben, Zeit bei Social Media zu verbringen. Überspitzt formuliert: Die depressive Verstimmung wäre in diesem Fall nicht Folge von Facebook, sondern ein Faktor, der die Nutzung dieses Netzwerkes erst besonders attraktiv macht.

Die niederländischen Psychologen werteten für ihre Arbeit nun Daten einer repräsentativen Stichprobe von mehr als 10 000 Niederländern aus. Dabei zeigte sich, dass ein verändertes Social-Media-Verhalten einzelner Personen keine Auswirkungen auf deren späteres Wohlbefinden hatte. Wer mehr Zeit auf diesen Seiten verdaddelte, zeigte später keine wesentlichen Veränderungen in seiner psychischen Gesundheit. Der Faktor Nutzungszeit sagt demnach nichts darüber aus, wie gut oder schlecht sich jemand in den folgenden Jahren entwickeln wird. Auch für die These, dass eine beeinträchtigte Psyche Menschen besonders an Social Media fesselt, fanden die Forscher keine überzeugenden Hinweise. Die Daten dazu waren inkonsistent, die beobachteten Effekte sehr gering.

Trotzdem, mag man da einwenden, ist die eigene schlechte Laune nach vertrödelter Facebook-Zeit aber doch real. Wie passt das zu den Forschungsergebnissen? Stavrova und Denissen spekulieren in diesem Zusammenhang, dass die Auswirkungen von Social-Media-Nutzung nur kurzfristig sein könnten. Die Laune und das Wohlbefinden litten womöglich nur für ein paar Stunden, vielleicht auch Tage. Aber offenbar übersetzte sich das nicht in klar zu beobachtende, langfristige Auswirkungen.

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