Alben der Woche:Der Craft-Beer-trinkende, rülpsende Jahrmarkt-Gast

Kitschkrieg, das dreifaltige Gesamtkunstwerk, haben endlich ein Album. Und steuern damit wohl auf den Techno-Club zu. Der Pop-Exorzismus der Woche kommt von Zugezogen Maskulin.

Von den SZ-Popkritikern

Washed out - "Purple Noon"

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(Foto: washed out)

Washed Out aus Atlanta war in den späten Nullerjahren einer der Protagonisten eines der ersten Genres, das sich aus den Weiten des Internet speiste: Chillwave oder Dream Pop, mit einer staubigen Kassetten-Klangästhetik die perfekte Hintergrundmusik für Kerzenschein-Sommerabende, festgehalten mit einer alten Polaroidkamera. Deren Bildsprache fand sich wiederum in den Anfängen von Instagram wieder, als man dort noch wackelige, farblich bewusst übersättigte Bilder ebenjener Abende hochlud, die ein bisschen nach Familienurlaub 1992 aussahen. Heute wird auf Instagram jede Pore gebügelt und durchgefiltert. Und auch die Musik von Ernest Greene, so Washed Outs bürgerlicher Name, ist mit den Jahren glatter geworden. Das Bandrauschen ist weg, die Synthesizer klingen oft nicht mehr sanft bekifft, sondern eher nach Chemie ("Too late"). Ab und zu finden sich auf "Purple Noon" (Sub Pop) zwar noch die schönen Lo-Fi-Momente, werden aber dann im Laufe der Songs doch noch vom großen Hochglanz-Kompressor überrollt ("Face Up"). Man kann Greene zwar nicht vorwerfen, dass er sich produktionstechnisch weitergebildet hat - wenn das Ergebnis dann klingt wie der Soundtrack eines Imagefilms für ein Spahotel auf Mykonos, ist das nur schon auch schade.

Kitschkrieg

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(Foto: Kitschkrieg)

Kitschkrieg sind eines der wenigen deutschen Produzenten-Teams, die nicht nur klein in Album-Credits auftauchen, sondern auch selbst seit Jahren als dreifaltiges Gesamtkunstwerk auftreten. Sowohl die Schwarz-Weiß-Optik ihrer Videos als auch ihre Soundästhetik hatten in den vergangenen Jahren maximalen Wiedererkennungswert und Künstlerinnen wie Haiyti oder Trettmann Hitalben beschert. Ein eigenes Album fehlte bisher, aber nun ist es da und heißt schlicht "Kitschkrieg" (SoulForce Records). Mehrere Generationen sind darauf vertreten: Max Herre trifft auf Skinnyblackboy ("Sonora"), Kool Savas auf den fast 20 Jahre jüngeren Rin ("Oh Junge", ein Hit), oder Trettmann auf Peter Fox, deren wabernde Nummer "Lambo Lambo" ziemlich genau die Essenz von Kitschkrieg wiederspiegelt. Die wiederum hat sich langsam vielleicht ein ganz klein wenig abgenutzt. Ein Track mit den Bass-Jüngern von Modeselektor und Crack Ignatz, der über eine angezerrte Synthie-Spur bloß sagt "Nein du liebst mich nicht", zeigt dann allerdings, wo es hingehen könnte mit dem Kitschkrieg-Sound: ins Repititive, ins Gröbere und damit in den Techno-Club?

Zugezogen Maskulin - "10 Jahre abfuck"

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(Foto: Zugezogen Maskulin)

Mit dem Wabern eines ausgeleierten Walkmans beginnt dagegen "Zehn Jahre Abfuck" (Four Music) von Zugezogen Maskulin. Moritz Wilken alias Grim104 und Hendrik Bolz alias Testo rappen sich darauf wieder ihren Frust über alles und jeden von der Seele. Besonders natürlich über Nazis, Spießer und Craft-Beer-Liebhaber aller Art, die den Kiez kaputtsanieren. Neue Gegner sind männliche Pseudo-Feministen, die sich von ihrem Engagement letztlich doch nur Sex erhoffen, Influencer, die Liebe zu ihren Fans nur vorgaukeln und rülpsende Jahrmarkt-Gäste. Der Pop-Exorzismus der Woche.

Aminé - "Limbo"

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(Foto: Universal Music)

Der Rapper Aminé ist seit seinem ersten Album "Good For You" vor allem auf Selbstironie gebucht - sommerschwüle Beats, gut gebräuntes Kiffergenuschel. Das ist auch auf "Limbo" (Universal) noch so: "If being ugly was pretty / I'd be the shit", rappt er auf "Roots", einem gemeinsamen Song mit Charlie Wilson von Gap Band und JID. Aber der lockerlässige Sound von "Limbo" ist etwas verschattet. Durch den plötzlichen Tod seines Kindheits-Idols Kobe Bryant etwa ("Kobe"). Durch privates Liebesleid ("Easy") oder die tiefe Skepsis vor dem schnellen Erfolg ("Reality"). Mit "Woodlawn" gibt es sogar eine Liebesklärung an jenen Stadtteil in Portland, in dem Aminé aufwuchs - und der jetzt von der Gentrifizierung befallen ist. Bisschen altersvergrübelt für einen 26-Jährigen also vielleicht. Steht ihm aber ganz gut.

Kitschkrieg, das dreifaltige Gesamtkunstwerk, haben endlich ein Album.

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