SZ-Kolumne "Alles Gute":Liebesglück in Salatschüsseln

Lesezeit: 2 min

(Foto: Steffen Mackert)

Die Meldepflicht für Gäste in Corona-Zeiten ist lästig und eine Bedrohung für den Datenschutz, finden manche. Dabei steckt so viel mehr in den handgeschriebenen Zetteln.

Von Violetta Simon

Zu den Dingen, die wir durch die Corona-Pandemie gelernt haben, gehört, dass neuerdings selbst kleine Konditoreien Kartenzahlung akzeptieren, Kaffee und Kuchen jedoch nur im Tausch gegen Name und Telefonnummer herausrücken. Also füllt man ein Formular aus und steckt es durch den Schlitz einer Box, der man ansieht, dass sich die Mitarbeiter beim Basteln entfaltet haben.

In den vergangenen Monaten hinterließ man seine Daten in einigen Cafés und Restaurants, meist im Vertrauen, dass die Gastronomen sie nicht sammeln, um im Auftrag einer globalen Elite die Weltherrschaft an sich zu reißen oder Bill Gates dabei unterstützen, der Menschheit Mikrochips einzupflanzen. Hin und wieder wurde dieses Vertrauen allerdings auf die Probe gestellt. "Einfach aufschreiben und da rein", sagt die junge Frau am Tresen. Sie zeigt auf einen Block, einen Kugelschreiber - und eine gläserne Salatschüssel, in der ein Haufen beschrifteter Zettel liegen.

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Erster Gedanke: Na toll, da kann sich ja jeder bedienen! Also lieber schummeln bei den eigenen Daten? Ach, irgendwie hat so ein gemischter Salat aus Namen, Adressen und Nummern doch auch etwas Inspirierendes. Ein verstohlener Blick in die Schüssel verrät, dass die meisten Gäste keinen Wert auf Nachnamen legen, sich also der Entprivatisierung auf souverän-lässige Weise entziehen (wahrscheinlich Linksliberale, die 1987 gegen die Volkszählung demonstrierten). Bei dem Paar, das eben Platz nimmt, müsste es sich um Irina und Luigi handeln - ein Zettel mit diesen Namen liegt obenauf, da konnte man gar nicht vorbeischauen, auch wenn man überhaupt kein Stalker ist. Aber zu wem könnte die Nummer mit den vielen Dreien gehören, einem Leo, einer Lea? Wenn die Leute doch ordentlich schreiben würden!

So viele Namen und Nummern - so viele Möglichkeiten. Nur für Menschen ohne Fantasie handelt es sich beim Inhalt der Schüsseln und Boxen um ordinäre Zettel. Dabei eignen sich die formlosen Visitenkärtchen bestens für die analoge Anbahnung einer Verabredung. Sogenannte Experten raten ja immer, man solle dem Glück auf die Sprünge helfen, offen sein für Überraschungen. Nun, davon hat so eine Salatschüssel jede Menge zu bieten. Nur Mut also! Einen Zettel ziehen, Nummer wählen, irgendwo im Lokal läutet ein Handy. Wer es jetzt zückt, ist im Spiel.

Der Abend endet im Irish Pub. Dort lässt sich die Bedienung gerade Name und Handynummer ("Kannst du etwas lauter sprechen?") diktieren und notiert sie neben die Getränkebestellung. Der Nachbar schreibt derweil eifrig etwas auf. Zufall? Nett sieht er jedenfalls aus. Und er ist eindeutig nicht Bill Gates.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure wöchentlich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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