Roman von Dany Laferrière:"Mögen Sie Sushi?"

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Seit 2015 Mitglied der Académie Française: Dany Laferrière. (Foto: imago/Starface)

Nichts ist falscher als das echte Leben: Dany Laferrières Roman "Ich bin ein japanischer Schriftsteller" ist eine Satire auf den identitätspolitischen Essenzialismus.

Von Joseph Hanimann

Im Wettlauf um die Anerkennung kollektiv erlittenen Unrechts - etwa als Nachgeborener kolonialer Unterdrückung, als Zielgruppe von Alltagsrassismus, als Angehöriger einer gesellschaftlichen Minderheit - ist auf den Schriftsteller Dany Laferrière nicht zu zählen. Sein Problem sei eher, hat er einmal gesagt, dass er eben kein Problem mit seiner Identität habe. Im Jahr 1976 musste Laferrière als junger Journalist sein Heimatland Haiti wegen der Unterdrückung des Duvalier-Regimes verlassen und lebt seither vorwiegend in Kanada. Exil, Sklavenvergangenheit, Kampf für die Anliegen der Afroamerikaner waren aber nie ein Zentralthema in seinem Werk. Wenn sie überhaupt vorkamen, dann allenfalls im burlesk übersteigerten Sinn.

"Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden" hieß 1985 die erste Publikation, mit der er den Zyklus seiner amerikanischen Autobiografieromane eröffnete. Laferrière wollte nicht als literarische Stimme der karibischen oder der schwarzen Kultur auftreten. Geprägt von Hemingway und Henry Miller, wollte er einfach ein amerikanischer Geschichtenerzähler sein, ohne spezifisch politische Themensetzung. Der vorliegende Roman mit dem unscheinbar indikativen Titel, hinter dem man allerdings auch ein Ausrufezeichen mithören könnte, macht dies besonders deutlich.

Um das Buch zu schreiben, bräuchte er ein paar japanische Erfahrungen

Dabei beginnt alles ganz beiläufig. Der schreibende Müßiggänger und Icherzähler des Buchs wirft seinem Verleger zwischen dem Fischeinkauf und dem Zubereiten zu Hause spontan den Titel seines neuen Buchs an den Kopf, etwa so, wie man beim Spiel eine Karte auf den Tisch wirft. "Ich bin ein japanischer Schriftsteller". Der Einfall mochte ihm daher gekommen sein, dass er in seinen freien Stunden in der U-Bahn oder in seiner Badewanne den japanischen Dichter Bashô (1644 - 1694) liest.

Bleibt dann allerdings, das Buch auch wirklich zu schreiben. Dafür bräuchte der Kanadier aus Haiti zumindest ein paar japanische Erfahrungen. Ein im Square Saint-Louis in Montreal herumhängender Asiate rät ihm, im Café Sarajevo die Sängerin Midori aufzusuchen, den ersten japanischen Sängerstar von Montreal. Bei den queeren Manga-Girls ihres Hofstaats findet er reichlich Anregung und die bunte Episodenfolge dieser Geschichte kann beginnen.

Bald wird der mittellose Schriftsteller auch vom japanischen Konsul in Montreal in ein japanisches Restaurant eingeladen - "Mögen Sie Sushi?". Er erfährt, dass er in Japan schon eine Berühmtheit ist, noch bevor er den ersten Satz seins Buchs geschrieben hat. Sein Titel löst unter den Japanern Verwunderung aus, und das Konsulat hält ihn im Auge. Dabei wird der Schriftsteller nicht müde, den Leuten zu versichern, dass sein Projekt mit Japan wenig zu tun habe. "Ich schreibe über mich, Japan bin ich." Doch es hilft nichts. Er bekommt Anrufe von Unbekannten und Interviewanfragen vom Fernsehen aus Tokio. Nur dass er Schwarzer ist, bringt ein gewisses Problem. Er müsse verstehen, erklärt man ihm, manche Japaner hätten den Eindruck, dass es mit ihrem Land schlimm stehe, wenn nun schon Schwarze dafür bezahlt werden müssten, japanische Schriftsteller zu werden.

Laferrière treibt via sein Double im Roman sein Spiel mit allem, was nach Unverfälschtheit und Echtheit klingt. Als Projektionshintergrund dafür hat er jenes Land gewählt, in dem das Prinzip des Authentischen besonders wichtig erscheint. Es ist das Gegenteil der kreolischen Welt, in welcher sich immerfort alles mit allem mischt. Authentizität sei ihr zuwider, sagt sich seine Figur schon beim Treffen im typisch japanischen Restaurant mit dem Konsul. Die erstbeste Eckkneipe wäre ihr lieber gewesen. "Das echte Restaurant, die echten Leute, die echten Dinge, das echte Leben. Nichts falscher als das. Als sollte man sich das Leben von anderen bestimmen lassen."

Bis zum Ende bringt die Hauptfigur keinen einzigen Satz zu Papier

Die imaginierte japanische wie die reale karibische Identität wünscht sich dieser Romanheld spontan und ungekünstelt ineinander verwachsen, etwa so, wie es bei seiner ersten Mishima-Lektüre geschah. Als Kind hatte er da während der Malariakrise im Dorf seiner karibischen Insel fiebernd unter der Bettdecke diesen Autor kennengelernt, ohne dass ihm jemand erklärte, wer Mishima war und was es mit ihm auf sich hatte. Weiß Gott, durch welche seiner Tanten jenes Buch ins Haus gekommen war.

Literatur sei Horizonterweiterung, nicht Perspektivenverengung, findet Laferrières Alter Ego. Auf die Frage, ob er ein haitianischer, karibischer oder einfach französischsprachiger Autor sei, antwortet die Romanfigur, sie habe die Staatsangehörigkeit und die Kultur seines jeweiligen Lesers. So wandert sie lesend auf den Spuren Bashôs, mit eingestreuten Zitaten aus dessen poetischem Reisebericht "Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland", in der Vorstellung durch die Landschaften des nördlichen Japan.

Laferrière erzählt das in losen, allzu losen Kurzkapiteln. Verführungsspiele, Eifersüchteleien und Intrigen um die Sängerin Midori, eine seltsame Liebesnacht mit einer Japanerin unmittelbar vor deren Freitod, rassistische Polizeiauftritte in der schäbigen Schriftstellerwohnung in Montreal, Versteckspiele mit dem gnadenlos die Wochenmiete eintreibenden Vermieter wechseln einander ab, durchsetzt mit freien Betrachtungen über die Manie des Fotografierens bei den Japanern, die Überlegenheit des asiatischen Lächelns gegenüber dem herzhaften Lachen der Afrikaner oder über die Amerikanisierung der japanischen Jugend.

Dem Verlag gebührt Dank, dass er diesen Autor jetzt ins Deutsche bringt

Dieses Szenen- und Betrachtungskaleidoskop hätte im Leerraum zwischen Titelidee und ungeschriebenem Roman - bis zuletzt bringt Laferrières Held keinen Satz zu Papier - zu einem reizvollen Gefüge aus Visionen, Spekulationen, Träumen und realen Erlebnissen der Figur verarbeitet werden können. Perspektivenbrüche, Binnenspiegelungen, Selbstreflexion hätten der Geschichte Kontur verliehen.

Dany Laferrière war daran offenbar nicht interessiert. Alles erscheint in seiner lockeren Kapitelfolge aus derselben Distanz. Keine perspektivischen Verkürzungen, keine verbogenen Klischees, kein raffiniertes Trompe-l'Œil. So zerblättert das Romanthema beim Umblättern der Seiten zum sprunghaften Apropos. Trotz ironischer Brechung klebt die Romanfigur zu eng am Romanautor. Dass der Romantitel im Roman nicht hält, was er verspricht, gilt leider auch für dieses Buch. Das an sich interessante Thema platzt wie eine Wolke aus Seifenblasen.

Dennoch ist dem Verlag dafür zu danken, wie er diesen Autor, seit 2015 Mitglied der Académie française, sukzessive fürs deutschsprachige Publikum erschließt. Und Beate Thill hat dem durch zahlreiche Wortspiele nicht leicht zu übersetzenden Roman mit wunderbaren Einfällen seine ganze unterhaltsame Frische bewahrt.

Dany Laferrière: Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Roman. Aus dem Französischen von Beate Thill. Wunderhorn Verlag, Heidelberg, 2020. 200 Seiten. 22 Euro.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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