Jugendkultur:Angriff auf den Freiraum

Freiraum

Im Gespräch über Jugendkultur mit Fabian Handfest, Martin Neumann und Swenja Welsch (von links).

(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Streit über den Auftritt einer Punkband im selbstverwalteten Jugendzentrum hat eine Diskussion über die Kulturförderung in Dachau ausgelöst. AfD und einige Anwohner wollen die Gunst der Stunde nutzen und der unliebsamen autonomen Jugendkultur das Licht ausdrehen.

Von Thomas Balbierer, Dachau

Zunächst habe er die öffentliche Empörung über den Konzertzuschuss für die Punkband Sabot Noir "ziemlich lustig" gefunden, sagt Fabian Handfest. Wenn das Bürgertum in Wallung gerät, hat Punk sein Ziel erreicht. Doch bald sei ihm das Lachen vergangen, habe ihn das Ausmaß der politischen Debatte "entsetzt", sagt der Dachauer Jugendrat-Sprecher und Freiraum-Vorsitzende. Denn der durch das polizeikritische Lied Fuck Cops ausgelöste Streit um die Kulturförderung und die Frage, wie weit Jugendkultur in Dachau gehen darf, reicht weit über eine einzelne Musikgruppe hinaus. Er betrifft eine ganze Jugendströmung, die sich mit alternativer Kultur identifiziert und sich zum Beispiel im selbstverwalteten Jugendzentrum Freiraum engagiert, das aus seiner anarchischen Haltung kein Geheimnis macht. Dass nun also wegen eines umstrittenen Songs die Richtlinien der städtischen Kulturförderung verschärft werden sollen, wie kürzlich von Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) im Stadtrat angeregt, empfinden jungen Aktiven vom Freiraum mindestens als enttäuschend. "Das ist, als würde man mit Kanonenkugeln auf Spatzen schießen", sagt Fabian Handfest, einer der Sprecher des sonst hierarchiefreien Freiraum-Kollektivs - einen Vorstand gibt es nur, weil es das Vereinsrecht will, ansonsten sei man völlig basisdemokratisch, so Handfest.

Wer sich mit den jungen Ehrenamtlichen im heruntergerockten Partyraum des Freiraums trifft, taucht ein in die bunte Welt der Dachauer Subkultur, wo Wände entweder schwarz sind oder in Graffitifarben leuchten. Man ist hier stolz auf sein autonomes Image. Mit regelmäßigen Punk-, Rock- und Hip-Hop-Konzerten, antikapitalistischen Aktionen und alternativ eingestellten Besuchern ist das Jugendzentrum unterhalb der Turnhalle in der Brunngartenstraße jedoch vielen ein Dorn im Auge. Anwohner klagen seit Jahren über Lärm und Sachbeschädigungen, die AfD will dem städtisch geförderten Projekt am liebsten den Geldhahn zudrehen. Und auch die Polizei hat das Treiben rund um den Partytreff fest im Blick. Bürgerlichkeit trifft auf antifaschistische Jugend. Was bedeutet es für den Ort, sollte die Stadt ihre Kulturförderung also tatsächlich bald an strengeren Kriterien messen - um, wie OB Hartmann beabsichtigt, die Bezuschussung von "Hassbotschaften" zu verhindern?

10 Jahre Freiraum

Das autonome Jugendzentrum Freiraum lebt ständig mit Anfeindungen, nicht nur Anwohner protestieren immer wieder.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Im schlimmsten Fall könnten der Änderung Konzerte zum Opfer fallen, sagt Martin Neumann, ein weiterer Sprecher des Freiraum-Teams. Es wäre ein Einschnitt für die Kulturstätte, in der es "keinen erhobenen Zeigefinger" geben soll, wie die Aktiven sagen. Und überhaupt, was verstehe man überhaupt unter einer Hassbotschaft? Dass die Ansichten zwischen der Jugendszene und den Stadtpolitikern da auseinanderdriften, zeigt sich schon an der Erregung über den Polizei-Song, die man im Freiraum nicht wirklich nachvollziehen kann. Dass die Debatte schwierig werden könnte, hat auch der Rathauschef erkannt, als er eine Novelle für die Kulturförderrichtlinien vorschlug. "Ich will keinen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Das wird ein Spagat", sagte Hartmann.

Kritikern der alternativen Jugendkultur dürfte die Diskussion ganz recht sein, sie verlangen schon seit Jahren ein strenges Vorgehen gegen Orte wie den Freiraum. AfD-Stadtrat Markus Kellerer zum Beispiel fordert, die städtischen Zuschüsse für das Projekt wegen dessen politischer Ausrichtung zu streichen. Im vergangenen Jahr zahlte die Stadt 5000 Euro an Kulturzulage, erließ Mietkosten in Höhe von 9000 Euro und gewährt zweimal im Jahr 750 für Konzerte. Zuvor hatte Kellerer auch schon verlangt, die Zuschüsse an den Dachauer Jugendrat zu beenden - stand mit seiner Meinung im Sozialausschuss aber ziemlich allein da. Der Freiraum gerät aber nicht nur von ganz rechts unter Druck, auch Anwohner haben ein gewaltiges Problem mit der Einrichtung. "Seit zwölf Jahren geht es hier nur noch ab", sagt Manfred Kühner. Er lebt seit 2003 mit seiner Familie in der Brunngartenstraße, 2008 kam der Freiraum in die Nachbarschaft. Seitdem gebe es immer wieder Ärger wegen Lärm, Provokationen und Beschädigungen, sagt Kühner. Konzertbesucher würden mit Bierflaschen und Steinen werfen, die Nachbarn anpöbeln und mutwillig Eigentum zerstören. Immer wieder müsse die Polizei anrücken. Kühner ist überzeugt, dass Freiraum-Gäste auch hinter dem Schaden an seinen zwei Autos stecken: Innerhalb kürzester Zeit seien Reifen mit Nägeln zerstochen worden, die Ermittlungen hätten jedoch zu keinem Ergebnis geführt. Zudem ist am Amtsgericht seit Jahren die Klage eines anderen Anwohners anhängig, der sich ebenfalls von den Partygästen belästigt fühlt. Das Verfahren, so Stadtjugendpfleger Markus Högg, ruhe derzeit.

Die Polizei bestätigt zwar, dass es in der Brunngartenstraße im vergangenen Jahr zu mehreren Einsätzen gekommen ist, betont aber auch, "dass hier nicht von einem Einsatzschwerpunkt gesprochen werden kann", so Michael Graf, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. Es habe elf Einsätze wegen Ruhestörung und zwei wegen Drogenmissbrauchs gegeben, zweimal sei es zu Widerstand gegen Polizisten gekommen. "Von wiederkehrenden Zusammenstößen mit der Polizei kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden", sagt Graf. Der Großteil der Besucher verhalte sich "kooperativ und leistet den Anordnungen der Polizei Folge".

Das Freiraum-Team vermutet Vorurteile hinter den Anschuldigungen. "Manche Leute sind wegen unserer antifaschistischen Politik aus Prinzip gegen uns und versuchen, uns als dauerbetrunkene Krawallos dastehen zu lassen", sagt die 21-jährige Studentin Swenja Welsch, eine weitere Sprecherin der Gruppe. Tatsächlich gehe man aber zur Arbeit oder zur Uni und engagiere sich auch außerhalb des Freiraums ehrenamtlich, zum Beispiel bei der langen Nacht der Galerien, der Internationalen Jugendbegegnung oder am Runden Tisch gegen Rassismus, der einst aus dem Freiraum heraus entstanden ist.

Jugendkultur: Der Freiraum ist schon oft Angriffsziel von Rechtsextremen gewesen.

Der Freiraum ist schon oft Angriffsziel von Rechtsextremen gewesen.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Wegen des Streits mit den Anwohnern haben bereits mehrere Schlichtungsversuche stattgefunden, sagt Stadtjugendpfleger Markus Högg, der das Projekt begleitet. Um den Nachbarn entgegenzukommen, dürften im Freiraum etwa nicht mehr als zehn Veranstaltungen pro Jahr stattfinden, die länger als bis 24 Uhr dauern. Anwohner Kühner klagt trotzdem über Dauerlärm und sagt, im vergangenen Jahr hätten "über 90 Veranstaltungen" stattgefunden. Er fordert sogar, den Freiraum ganz dicht zu machen. Er und seine Familie hätten an Konzertabenden Angst, das Haus zu verlassen. "Das ist keine Lebensqualität mehr", schimpft der 51-Jährige. CSU-Fraktionschef Florian Schiller kennt den Protest der Anwohner und sagt, man müsse ihre Bedenken ernst nehmen. Sollten Kühners Vorwürfe stimmen, "dann müssen die Fakten auf den Tisch", sagt Schiller in Richtung Stadtverwaltung. Stadtjugendpfleger Högg hingegen betont, die Ehrenamtlichen "halten sich an die Vorgaben, die wir machen". Der Freiraum sei ein "wichtiger Teil der Jugendarbeit". Es kämen viele Jugendliche, die man in städtischen Jugendzentren nicht erreichen würde. Probleme gebe es "wie in jedem anderen Club oder Jugendzentrum".

Auch Kulturamtsleiter Tobias Schneider lobt den Treff als "offenen Raum" und bescheinigt dem Freiraum-Kollektiv, "einer der aktivsten Kulturakteure in Dachau" zu sein. Die Entscheidung, das Projekt voll in die Hände der Jugend zu legen, sei bewusst getroffen worden. So könnten die Mitglieder schon früh lernen, eigene Konzerte, Vorträge und Veranstaltungen auf die Beine zu stellen und sich so auszuprobieren. Und "in zehn oder 20 Jahren" könnten sie dann die nächste Generation der Dachauer Kulturmacher sein. Schneider sagt, es sei "selten, dass ein Projekt über so viele Jahre so erfolgreich funktioniert und sich immer wieder neu erfindet". Den Ärger der Anwohner kennt Schneider, weist aber auch darauf hin, dass die Stadt gezielt die Altstadt und das Zentrum mit Kultur beleben wolle. Ihm sei daran gelegen, ein gutes Miteinander zu finden. Anwohner Kühner hingegen will kein Entgegenkommen von Stadt und Freiwilligen erkennen. Er will, dass in seiner Straße "wieder Ordnung einkehrt".

Ein wenig Entspannung dürfte derzeit aber doch eingetreten sein. Seit Ausbruch des Coronavirus finden im Freiraum ohnehin keine Konzerte mit Publikum mehr statt.

In einer früheren Version des Textes war fälschlicherweise vom "Runden Tisch für Rassismus" die Rede, der Verein heißt natürlich "Runder Tisch gegen Rassismus". Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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