Profil:Aschraf Ghani

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(Foto: Press Office of President of Afghanistan/AFP)

Afghanischer Präsident mit riskantem Plan.

Von Tobias Matern

Seine Aufgabe wirkt unlösbar. Er soll einem Land Frieden bringen, das nicht erst seit der westlichen Invasion vor knapp 20 Jahren von Kriegen, ethnischen Konflikten und der permanenten Einmischung aus dem Ausland ausgezehrt ist. Der afghanische Präsident Aschraf Ghani versucht der Herausforderung zumindest äußerlich mit Gleichmut zu begegnen, immer wieder mal mit rhetorischer Kampfeslust und inzwischen vor allem auch: mit Lockmitteln für den Gegner.

Nun hat sich Ghani von einer Großen Ratsversammlung in Kabul das breite gesellschaftliche Mandat geholt, weitere 400 besonders gefährliche Taliban aus der Haft entlassen zu dürfen. Es ist ein riskanter Schritt, den Ghani geht, um die Führung der Aufständischen vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu bekommen. Insgesamt 5500 Gefangene dürfen somit inzwischen auf Ghanis Geheiß in die Freiheit zurück, und es ist ungewiss, ob sie nun dem Frieden oder doch eher dem Krieg förderlich sind.

Die Bedingungen für innerafghanische Verhandlungen zwischen Ghani und den Taliban sind jedenfalls denkbar schlecht: Ghanis Regierung hat den Friedensrahmen von Washington regelrecht vor die Füße geworfen bekommen. Der Präsident und seine in sich zerstrittene Regierung müssen diesen Rahmen nun mit Inhalt füllen. Bereits Ende Februar einigten sich die USA mit den Taliban auf einen Abzugstermin - Ende April 2021 sollen die westlichen Truppen das Land verlassen. Die Supermacht war so verzweifelt, dass sie sich auf Druck der Taliban ohne Ghani, den demokratisch gewählten Staatschef, bilateral mit den Islamisten auf einen Deal verständigte. Dass die Amerikaner den Abzug verschieben, falls sich die Taliban nicht auf eine Machtteilung mit Ghani einlassen - damit rechnet in Kabul niemand. Der Präsident ist also zum Erfolg verdammt, denn ohne die westliche Schutzmacht werden die Regierungstruppen wohl nicht in der Lage sein, die Islamisten in Schach zu halten.

Die ganze Biografie des 71-jährigen Aschraf Ghani ist auf ein hohes Staatsamt ausgelegt. Er wurde in der Nähe von Kabul geboren und wuchs in einer einflussreichen paschtunischen Familie auf. Sein Vater war Beamter unter König Mohammed Zahir Schah, sein Großvater der erste nach Deutschland entsandte Botschafter Afghanistans. Ghani ging in Kabul zur Schule und studierte in Beirut, wo er seine spätere Frau Rula Ghani kennenlernte. Dann erhielt er ein Stipendium für die Columbia University in New York. Aus einem geplanten Studienjahr wurde ein Aufenthalt von 1977 bis 2001 in den USA - um dem kommunistischen Putsch, der sowjetischen Besatzung, dem Bürgerkrieg und dem Taliban-Regime zu entgehen.

In den Vereinigten Staaten bekamen die Ghanis zwei Kinder. Er promovierte, machte erst an Universitäten Karriere und später bei der Weltbank - was ihm den Ruf eines intellektuellen Technokraten eingebracht hat. Nach dem Sturz der Taliban kehrte Ghani in seine Heimat zurück. In Kabul arbeitete er beharrlich daran, den vom Westen auserkorenen Hamid Karsai als Präsident zu beerben.

Das gelang ihm im Jahr 2014. Ghani versprach, Schluss zu machen mit der unter Karsai grassierenden Korruption und sagte der "räuberischen Elite" den Kampf an. Dennoch sind viele Afghanen enttäuscht von seiner ersten Amtszeit, während derer er sich um Frieden bemühte und einen Dauerkonflikt mit seinem politischen Rivalen Abdullah Abdullah austragen musste. Dennoch gewährte ihm das Volk im vergangenen Jahr eine weitere Amtszeit.

Abdullah ist nun der designierte Verhandlungsführer für die Gespräche mit den Taliban; er und Ghani müssen sich also zusammenraufen. Der Präsident will das skeptische Volk mitnehmen auf dem Weg zum Frieden, das hat die Große Ratsversammlung gezeigt. Nun hat er den erwünschten Auftrag bekommen. Aber Ghanis Risiko zu scheitern ist dadurch nicht geringer geworden.

© SZ vom 10.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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