SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 9:Ein ungeschönter Blick ins Herz Amerikas

Lesezeit: 3 min

Die Schönheit der Landschaften und des Lichts in "The Rider" stehen im krassen Gegensatz zu der Einsamkeit, die die Figuren rasch umgeben kann. (Foto: Sony Pictures Classics/imago images / ZUMA Press)

Ein junger Rodeoreiter muss sich entscheiden, was wichtiger ist: Risiko und Ruhm oder Sicherheit und Zukunft. "The Rider" ist alles andere als ein Starfilm - und verzichtet auf ein handelsübliches Happy End.

Von Milan Pavlovic

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 9 - "The Rider".

Wie oft kommt das heutzutage noch vor? Man sieht sich angemessen unvorbereitet einen neuen amerikanischen Film an und wird total überrascht: vom Setting, von Ton und Tempo der Erzählung, von den unverbrauchten Gesichtern. Obwohl, Letzteres stimmt nur so halb, denn das Leben in South Dakota hat seine Spuren in den Gesichtern der Blackburn-Männer hinterlassen: in dem des desillusioniert-sachlichen Cowboys Wayne, aber noch mehr in dem seines Sohnes Brady. Der ist ein äußerst talentierter Rodeoreiter, gar nicht mal kräftig gebaut, dafür flink und intuitiv. Zuletzt aber hat ihn ein Pferd mit einem Huf am Kopf erwischt, und nun ist nicht nur sein Blick, sondern seine ganze Zukunft verschwommen.

Der Film beginnt damit, wie Brady sich langsam seines am Kopf angetackerten Verbands entledigt und Klarsichtfolie um den sichtlich zusammenflickten Schädel wickelt, um unter die Dusche gehen zu können. Von seinen Konkurrenten, die hier immer auch Kumpel sind, sagt einer: "Er sieht aus wie Frankenstein", und selbst Wayne flachst herum, als er sieht, dass Brady sich auf eigene Gefahr aus der Klinik entlassen hat. So wie die beiden miteinander umgehen, dauert es eine Weile, bis man sich sicher ist, dass sie Vater und Sohn sind, die ihre Farm mit Mühe aufrechterhalten und Bradys etwas zurückgebliebene Schwester Lilly beschützen. "Du machst ja doch, was du willst", sagt Wayne zu seinem Sohn, und das ist weniger ein Vorwurf als eine Tatsache.

Der Film kommt ohne ein moralisierendes Wort aus

Brady muss sich entscheiden, was wichtiger ist: Risiko und Ruhm oder Sicherheit und Zukunft. Weil er wegen seiner Verletzung weder seiner Passion (Rodeo) nachgehen kann noch seinem zweiten Talent - dem Zureiten von Wildpferden -, arbeitet er mitunter an der Kasse eines Warenhauses. Sogleich erinnert man sich an Mickey Rourke als Ladenhüter in "The Wrestler". Aber "The Rider" ist weniger eine Tragödie als ein ungeschönter Blick ins Herz Amerikas. Mehrmals sieht man, wie Brady in den Weiten dieses Landes steht und sinniert. Die Schönheit der Landschaften und des Lichts stehen im krassen Gegensatz zu der Einsamkeit, die die Figuren rasch umgeben kann. Manchmal besucht Brady sein ehemaliges Idol, den immer noch jungen Lane Scott, der seit einem Unfall gelähmt im Rollstuhl sitzt und nicht mehr sprechen kann. Das könnte eine plumpe Warnung sein - aber der Film kommt ohne ein moralisierendes Wort aus.

Brady entdeckt das stolze, vernachlässigte Pferd Apollo, in dem er sich wiedererkennt und dessen Schicksal er fast zu eng mit dem seinen verbindet. Der angeschlagene Reiter will sein Leben wieder in die Hand nehmen, auch wenn er den Zugriff zu verlieren droht. Das muss man in diesem Fall wörtlich nehmen: Brady kann seine rechte Hand nicht mehr durchgehend kontrollieren, sie kann die Signale des Hirns nicht mehr schnell genug umsetzen.

Brady Blackburn (Brady Jandreau) mit dem stolzen und vernachlässigten Pferd Apollo. (Foto: dpa)

Diesen Film, den die Chinesin Chloé Zhao mit exakt dem richtigen Zügelzug inszenierte, konnte man so unverstellt nur fern von Hollywood hinbekommen. Man stellt sich kurz vor, wie sie in der Traumfabrik auf diese Geschichte reagiert hätten, vielleicht mit dem Verweis auf zwei der schönsten Pferdefilme, die allerdings Starfilme waren, beide mit Robert Redford: als Tierversteher in "Der Pferdeflüsterer" (1998) sowie als Sonny Steele in "Der elektrische Reiter" (1979), in dem der Blondschopf einen abgewrackten Rodeo-Champion spielt, der sich zu einer letzten Großtat aufschwingt und dabei eine der treffendsten Rodeo-Zeilen überhaupt sagen darf: "Manche Körperteile wachen schneller auf als andere; gebrochene brauchen etwas länger". (Unvergessen bleibt außerdem seine Erklärung, warum er fast eine Stunde zu spät zu einer Pressekonferenz erschienen ist: "Ich habe eine Mund-zu-Mund-Beatmung von einer Flasche Tequila gekriegt.")

"The Rider" ist alles andere als ein Starfilm. Und erdreistet sich zudem, auf ein handelsübliches Happy End zu verzichten. Mit einem guten Grund, der einen noch einmal packt und den man auf keinen Fall verraten sollte - auch wenn er erklärt, warum dieser Film so ungewöhnlich authentisch wirkt.

The Rider, 2017, Regie Chloé Zhao

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

Platz 18: "Foxcatcher"

Platz 17: "The Wrestler"

Platz 16: "Nowitzki. Der perfekte Wurf"

Platz 15: "Le Grand Bleu"

Platz 14: "White Men Can't Jump"

Platz 13: "I, Tonya"

Platz 12: "Battle of the Sexes"

Platz 11: "Jerry Maguire"

Platz 10: "Rocky III"

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 10
:So kitschig ist Boxen

Die "Rocky"-Serie erzählt 897 Minuten lang eine rührend ehrliche Geschichte. Das lässt niemanden los, der ein Herz für treuherzige Boxer hat.

Von Benedikt Warmbrunn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: