Macun-Seen in der Schweiz:Nicht den Drachen reizen

Macun-Seen in der Schweiz: Die Macun-Seen im Schweizerischen Nationalpark im August, mit Neuschnee.

Die Macun-Seen im Schweizerischen Nationalpark im August, mit Neuschnee.

(Foto: Hans Gasser)

Die Macun-Seen im Schweizerischen Nationalpark sind ein streng geschütztes Stück Wildnis. Und jeder der rund 20 Seen hat seinen eigenen Reiz.

Von Hans Gasser

Schnaufen und Schauen - das, so erklärt der Biologe und Wanderführer Lukas Barth beim Start an der Alp Zeznina, seien im Wesentlichen die zwei Dinge, die im Nationalpark erlaubt sind. Okay, wandern darf man auch, aber nur auf den Wegen. Rasten nur auf dem eingezeichneten Rastplatz oben an den Seen. Und Pipi, nun ja, wenn es dringend ist, aber sonst auch lieber außerhalb. Wer sich nicht daran hält, wird "gebüßt", 250 Franken pro Kopf.

Die Macun-Seen gehören zum Schweizerischen Nationalpark, obwohl sie eigentlich gar nicht darin liegen. Sie sind eine Exklave, die die Gemeinde Lavin vor 20 Jahren dem Park abgetreten hat. "Man wollte damals den 1914 gegründeten Nationalpark in größerem Stil erweitern, bis zu den Seen", sagt Barth, "aber zwei Gemeinden waren dagegen, zu viele Partikularinteressen." Bauern und Jäger und Holzhändler wollten nicht mehr Grund an einen der am strengsten geschützten Nationalparks der Welt abgeben.

Immerhin kamen die rund 20 auf 2600 Meter gelegenen Macun-Gletscherseen dazu. Auch sie wurden vorher genutzt. So setzte das kantonale Departement für Jagd und Fischerei dort oben, wo von Natur aus keine Fische vorkommen, amerikanische Seesaiblinge und Bachforellen ein. "Die kriegt man auch durch Abfischen nicht mehr raus, das ginge nur mit Chemie." Sagt ein bärtiger Mann, der gerade von den Seen oben kommt und der geführten Wandergruppe begegnet. Er stellt sich vor als einer, "der auch beim Park schafft". Wanderführer Barth präzisiert das etwas: Es handle sich um Ruedi Haller, den Nationalparkdirektor. Solcherart enttarnt, erzählt Haller, dass er oben bei den Forschenden war, die gerade die Seen untersuchen, das Wasser, die Fauna und die Flora. Jeder See sei etwas anders. "Das Schlechte an den Fischen ist, dass sie Kleinstlebewesen und auch natürlich vorkommende Molche nicht aufkommen lassen." Aber man habe keine Lösung. Chemie kommt natürlich nicht infrage. Haller verabschiedet sich, er müsse jetzt leider ins Büro. "Genießen sie den schönen Tag!"

Der Aufstieg ist nicht so beschwerlich, denn das Alptaxi bringt einen bis auf 1950 Meter, auf die Alp Zeznina. Es sind dann nur noch etwa 600 Höhenmeter, und mit jedem kommen mehr hohe Berge in Sicht, am eindruckvollsten das Verstanclahorn mit seinen zwei Gipfeln, der Piz Linard und der Piz Buin. Überall dort liegt Neuschnee, der erste des Hochsommers. Oben angekommen, ist zuerst nur ein See zu sehen, an dessen Ufer der mit gelben Posten markierte Rastplatz liegt. Barth stellt ein Fernrohr auf und findet nach längerem Suchen endlich die Namensgeber der Seen: Steinböcke, in altem Rätoromanisch: Macun. Drei von ihnen klettern auf einem Felsgrat, mit bloßem Auge nicht zu sehen.

Für einen richtig guten Blick auf die nach dem Rückzug eines großen Gletschers entstandene Seenplatte geht es nach der Brotzeit etwa 150 Höhenmeter weiter hinauf über ein Altschneefeld. Von dort sieht man auf der einen Seite einen türkisen See unter dem frisch angezuckerten Piz Nuna. Auf der anderen Seite hat man fünf größere Macun-Seen im Blick, den größten sieht man aber nicht, dafür müsste man bis auf 2900 Meter hochsteigen. Wilder und ursprünglicher kann eine Landschaft kaum sein, auch wenn durchaus viele Wanderer unterwegs sind. Die Schweiz ist jetzt im August voller als sonst, weil auch die Schweizer lieber im eigenen Land Urlaub machen. Besonders hier im Unterengadin, wo man auf kleinere Hotels und naturnahen Tourismus setzt, ist die Nachfrage sehr groß.

Beim Abstieg geht es noch einmal um die größeren Seen herum, an einem sieht man zwei Menschen weitab vom Weg. Das wird teuer! Sie tragen jedoch orange Warnwesten, die sie als Forscher kennzeichnen, wie Wanderführer Barth erklärt. Zum Schluss geht es am tiefblauen Lai dal Dragun entlang, dem mythenbesetzten Drachensee. In ihm soll ein Drache gehaust haben, der sich ab und zu eine Kuh, manchmal auch einen Hirten holte. Zumindest tradiert dies eine Märchensammlung aus den 1950er-Jahren. Den Drachen kann man unten im Nationalparkzentrum in Zernez lebensgroß und aus Pappmaché bestaunen, wobei das interaktive Museum Interessanteres zu bieten hat. Zwei Wanderer haben sich am Dragun-Ufer niedergelassen, 20 Meter neben dem Weg. "Das geht nicht", sagt Barth empört und weist die beiden daraufhin. Sie fügen sich und kommen zurück. Die Angst vor der hohen Strafe ist mindestens so groß wie die vor einem Drachen.

Zu den Macun-Seen kann man von Lavin oder von Zernez aus wandern. Auf beiden Seiten gibt es Taxis, die auf Bestellung zu den Almen hinauffahren, so spart man sich die langen An- und Abstiege. Geführte Wanderungen bietet die Gemeinde Zernez an, scuol-zernez.engadin.com, weitere Auskünfte: nationalpark.ch, Übernachten z. B. im Hotel Baer-Post in Zernez, DZ mit FS 180 Euro, baer-post.ch

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