Bundestagswahl:Kühnert spielt mit hohem Risiko

Juso-Bundesvorsitzender Kühnert zu Scholz als SPD-Kanzlerkandidat

Juso-Bundesvorsitzender Kühnert spricht zu Scholz als SPD-Kanzlerkandidat

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Nach seinem Auftritt sollte sich der Juso-Chef nicht wundern, wenn die SPD in den kommenden Wochen und Monaten mehr mit sich selbst kämpft, als sich auf den Wahlkampf vorzubereiten.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Olaf Scholz, der frisch gekürte Kanzlerkandidat der SPD, dürfte sich von Kevin Kühnert keine Umarmung und erst recht keine Herzlichkeiten erwartet haben. Aber dass der Noch-Juso-Chef es fertigbringt, in einem 20-minütigen Auftritt den Namen Scholz fast gar nicht in den Mund zu nehmen und auf lobende Worte für den Kandidaten gleich ganz zu verzichten, ist schon eine bemerkenswerte Botschaft. Eine Botschaft, die so kalt wirkt, dass sie am Tag eins nach der Kür von Scholz wie eine Unverschämtheit daherkommt.

Mag sein, dass viele Sozialdemokraten gehofft haben, auch der selbstbewusste Kühnert werde sich wenigstens zu einem guten Teil hinter den Kandidaten stellen. Mit seinem Auftritt am Dienstagmittag aber ist klargeworden, dass das auf persönlicher Ebene nicht der Fall sein wird. Kühnert und Scholz trennt einfach zu viel, als dass sie Seit an Seit schreiten könnten. Kühnert bekämpfte Scholz im Ringen um den Parteivorsitz. Und diese seit vielen Jahren gepflegte Abneigung wird auch dann nicht mehr schwinden, wenn Scholz dereinst Kanzler, Papst oder Kaiser von China werden sollte.

Für Scholz ist das gut und schlecht zugleich. Gut daran ist, dass es keine falschen Heucheleien geben wird. Da wird keine Zuneigung, kein Fan-Gehabe und auch sonst nichts vorgetäuscht, was einen in trügerischer Sicherheit wiegen könnte. Es ist allemal besser, an dieser Stelle Klarheit zu haben, als mitten im Wahlkampf von hinten überrascht zu werden.

Zugleich aber hat Kühnert in unnachahmlicher Weise deutlich gemacht, dass er sich selbst im Verhältnis zum Kanzlerkandidaten als Koch versteht und nicht als Kellner. Er hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Jusos, die Linken und vorneweg sich selbst als die treibende Kraft in der Partei versteht; dass der Abschied von Hartz IV genauso ihnen zu verdanken ist wie das Ziel einer neuen Vermögensteuer; und dass er und seine Truppen Scholz alleine daran messen werden, ob er sich an diese Beschlüsse hält, ob er sie umsetzt, ob er also für die Linie von Kühnert kämpfen wird.

Man kann das Chuzpe nennen oder Selbstverliebtheit - für Scholz enthält es nur eine Botschaft: Dass dieser Wahlkampf kein Spaß wird. Wo Peer Steinbrück ziemlich harsch mehr Beinfreiheit für den Kandidaten einforderte, dreht Kühnert vorneweg den Spieß um mit der Ansage, dass es eine solche Beinfreiheit nicht geben werde. Eine derart demonstrative Drosselung eines Kanzlerkandidaten hat es selbst in der streitlustigen SPD noch nie gegeben.

Für die SPD geht es längst um mehr als den nächsten Wahlkampf

Doch so selbstbewusst Kühnert sein mag, so machtbewusst er auch jetzt wieder agiert: Er spielt mit einem hohen Risiko, für die Partei und für sich persönlich. Nach diesem Auftritt, der nichts anderes war als eine Machtansage, sollte er sich nicht wundern, wenn die SPD in den kommenden Wochen und Monaten mehr mit sich selbst kämpft, als sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Und er sollte nicht überrascht sein, wenn die Umfragen für die SPD im Keller bleiben.

Das freilich wäre nicht nur für die Sozialdemokraten von Nachteil. Auch Kühnert würde ab jetzt Schaden nehmen. Zu deutlich hat er jegliche Begeisterung vermissen lassen. Zu deutlich hat er versucht, zum Kandidaten Distanz zu halten. Begeisterung für eine Person ist nicht alles; sonst hätte Martin Schulz 2017 gewinnen müssen. Aber ohne Begeisterung für die Person an der Spitze kann man auch das vermeintlich beste Programm vergessen.

Nun könnte man sagen, auch der nächste Wahlkampf sei nur einer von vielen. Für die SPD aber geht es längst um mehr. Wenn sie es auch dieses Mal nicht schafft, sich zu erholen, wächst die Gefahr, dass sie ganz wegbricht. Kühnert spielt deshalb nicht nur mit den Chancen von Olaf Scholz. Er spielt mit dem Schicksal der Sozialdemokratie. Wer sich das bewusst macht, wird in seinem kühlen Auftritt vor allem eines erkennen: dass er die Gefahr noch immer nicht wahrhaben will.

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