Umwelt-Demos in München:Die Klimaschutzproteste sind wieder da

XR Gegengift

Nach 100 Metern war Schluss für Thomas Nier auf der Prinzregentenstraße: Sein Gefährt ist auseinandergebrochen. Ein paar Schritte hat der Aktivist seine Rauchwerfer noch weitergetragen, dann hat er sie einfach abgelegt.

(Foto: Thomas Vonier)

Die Aktivisten von "Extinction Rebellion" und "Fridays for Future" sind nach der Corona-Zwangspause wieder auf den Münchner Straßen unterwegs - und selbst der Siemens-Chef bringt Kuchen vorbei.

Von Jakob Wetzel

Weit kommt er nicht. Eigentlich wollte Thomas Nier am Dienstag seinen Bollerwagen auf der Prinzregentenstraße hinunter bis zum Verkehrsministerium ziehen und danach weiter bis zum Englischen Garten, zur Ludwigstraße, vielleicht sogar bis zum Siegestor, um für eine schnelle Verkehrswende zu demonstrieren. Unterwegs wollte der 38-jährige Münchner Aktivist der Klimaschutzgruppe "Extinction Rebellion" den Autoverkehr zum Erliegen bringen; dazu hatte er an seinen Bollerwagen seitlich Ausleger montiert und ihn so auf knapp fünf Meter verbreitert. Über sein Mikrofon wollte Nier zu Autofahrern und Passanten sprechen, zwischendurch laut Musik spielen und hin und wieder giftgrünen Theater-Rauch versprühen.

"Das Gegengift" hatte er seine Aktion getauft und gehofft: An der Eisbachwelle würden sich seinem Ein-Mann-Protest vielleicht weitere Menschen anschließen. Doch bis zum Eisbach schafft er es gar nicht. Schon nach wenigen Metern fährt eine Autofahrerin beim Überholen über einen der Ausleger, kurz darauf bricht Niers Konstruktion auseinander. Sein Protestzug führt den Aktivisten nur von der Widenmayerstraße bis zur Reitmorstraße, das sind nicht einmal 100 Meter.

Die Klimaschutzproteste sind wieder da. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie war es um sie ruhig geworden, nun aber drängen die Aktivistinnen und Aktivisten wieder an die Öffentlichkeit. Große Demonstrationszüge sind zwar weiterhin tabu. Doch "Extinction Rebellion" zum Beispiel ruft nun seit Ende Juli Woche für Woche zu sogenannten "Die-ins" auf; dabei lassen sich Aktivisten an einem belebten Ort auf Kommando wie tot zu Boden fallen. Zuletzt gingen sie dazu auf den Geschwister-Scholl-Platz, an diesem Donnerstagabend wollen sie auf den Marienplatz.

Und auch "Fridays for Future" zeigt wieder Präsenz. Die Bewegung, die in München seit Januar 2019 jeden Freitag für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen ist und im September 2019 laut Polizei 40 000 Menschen mobilisiert hat, musste ihren Protest im März zunächst ins Digitale verlegen, wo er weniger Beachtung fand. Seit 29. Mai würden sie in München nun wieder jeden Freitag auf der Straße stehen, sagen Aktivisten von "Fridays for Future": stationär, ohne Demonstrationszug, mit Abstand und Masken. Es kämen jeweils zwischen 30 und 50 Menschen.

Seit dem 30. Juli kampieren zudem "Fridays for Future"-Aktivistinnen und Aktivisten vor der Siemens-Zentrale in der Maxvorstadt. Der Konzern liefere Technik für zwei Kohlekraftwerke in Indonesien, kritisieren sie. Vor den Toren der Konzernzentrale haben sie deswegen ein "Klima-Camp" errichtet mit Pavillon-Zelten, Bücherregalen, Tischen, Kühlboxen und einer Sitzgruppe aus Futons. Sie würden dort in Schichten zu jeweils 24 Stunden ausharren, mindestens zu dritt, erklärt die 14-jährige Schülerin Pia, eine der Aktivistinnen. Wer austreten muss, dürfe die Toiletten der nahen evangelischen Kirchengemeinde nutzen.

Das Klima-Camp folgt dem Vorbild von Augsburg: Dort kampieren Klimaschützer von "Fridays for Future" seit mehr als einem Monat vor dem Rathaus. In München sei am ersten Wochenende Siemens-Chef Joe Kaeser herausgekommen, um zu versichern, dass Siemens schon sein Bestes gebe, erzählt Pia. Das Camp gehe aber weiter, "weil wir wissen, dass das nicht stimmt". Kaeser habe später sogar einen Kuchen vorbeigebracht, erzählen die Aktivisten; der Konzern bestätigt das. Im Ziel sei man sich ja einig, sagt ein Sprecher: Siemens unterstütze das Pariser Klimaschutz-Abkommen. Die Forschung konzentriere sich unter anderem darauf, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu ermöglichen. Auch in der Energiegewinnung setze sich der Konzern "mit einem potenziellen Kohleausstieg auseinander".

"Fridays for Future" will dennoch weiter kampieren, mindestens bis zum Börsengang der Sparte Siemens Energy Ende September. Das Ende des Camps sei offen, sagt Pia. Für 25. September plant "Fridays for Future" wieder eine Großkundgebung.

Thomas Nier hat am Ende improvisiert: Nachdem sein Bollerwagen auseinandergefallen war, hat sich der Aktivist in die Trümmer gestellt, die verbliebenen Rauchwerfer gezündet und eine Fahne geschwenkt. Nach einer Viertelstunde löste die Polizei die Blockade auf. Er habe zumindest vor Ort Aufsehen erregt, sagt Nier später. Jetzt stehe eine Strafanzeige im Raum, wegen des Rauchs, also wegen Verdachts auf einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Nier selbst zog seinen Bollerwagen schließlich auf dem Gehweg weiter, ohne Rauch, aber mit Musik. Bis zum Klima-Camp vor der Siemens-Zentrale.

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