An den Befunden im Abschlussbericht der Technischen Universität Darmstadt über Cornelia Koppetsch gibt es offenbar nichts zu deuteln. Vor allem die Dichte der Verfehlungen - mehr als hundert in zwei nicht übermäßig umfangreichen Büchern -, lassen das Verdikt zwingend erscheinen: ungekennzeichnete Übernahmen von Textpassagen, verschleierndes Zitieren, summarische bibliografische Verweise ohne Seitenangaben, all das widerspricht arbeitsteiliger wissenschaftlicher Praxis.
So weit, so hart. Nun war Koppetschs Buch "Die Gesellschaft des Zorns", das auch die Öffentlichkeit beeindruckte, keine Qualifikationsschrift, es diente nicht dem Erwerb von Titel oder Lehrerlaubnis. Sein Anspruch war ein zusammenhängender Gedankengang, die Entwicklung einer übergreifenden These. Zu dieser These lässt der Prüfungsbericht nichts verlauten. Ist auch sie abgekupfert? Oder wird sie wertlos, weil Koppetsch sich bei einzelnen Argumenten fremder Erkenntnisse und Formulierungen bedient hat, ohne dies gebührend zu kennzeichnen?
Nach Plagiatsvorwürfen:Es geht um alles
Die Soziologin Cornelia Koppetsch wurde vom Publikum und von Kritikern gleichermaßen hofiert. Ein schonungsloser Bericht entlarvt nun ihre Plagiate - und verteidigt entschieden wissenschaftliche Standards.
Auch wer ein neues Bild zusammenfügt, hat eine eigenständige Leistung erbracht
Die These lautet in kurzer Zusammenfassung: Der neue Rechtspopulismus stellt eine nationen- und klassenübergreifende Koalition von Globalisierungsverlierern dar. Er ist eine Protestbewegung, die beispielsweise deklassiertes Bildungsbürgertum und abschmelzende Industriearbeiterschaft gegen eine globale, sich kosmopolitisch verstehende kreative Klasse vereinen kann. Die Fruchtbarkeit dieser Überlegungen besteht nun vor allem in ihrem idealtypischen Charakter. Sie liefern ein Frageraster, das jeden Zeitgenossen zur Selbstprüfung anregen kann: Wo stehe ich in diesem Koordinatennetz? Aus solchen Anwendungen kann sich natürlich auch ein neuer Blick auf die Empirie ergeben. Man nennt es verstehende Soziologie, und deren Ursprünge gehen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück.
Wer wie Koppetsch eine großräumige Landkarte entwirft, muss zwangsläufig Entdeckungen anderer aufgreifen. Im Genre des wissenschaftlichen Handbuchs, also dessen, was früher gern "Grundriss" genannt wurde, sind summarische Verweise auf maßgebliche Titel der Forschung immer üblich gewesen. Je geistreicher solche Handbücher sind (das gibt es: geistreiche Handbücher), umso mehr glänzen sie mit eigenständigen Reformulierungen fremder Gedanken. Denn einen Gedanken hat man erst völlig verstanden, wenn man ihn in eigenen Worten wiedergeben kann. Dass diese Durcharbeitung im Detail bei Cornelia Koppetsch allzu oft fehlt, ist kein beiläufiger Makel.
Trotzdem vermisst man bei der Strenge des Darmstädter Verdikts eine Binnendifferenzierung dessen, was "wissenschaftliche Praxis" ist. Diese sieht bei empirischer Einzelforschung, bei der Vorstellung neuer Quellen anders aus als bei einer durchargumentierten, weiträumigen Theorie oder auch einer erzählerischen Synthese. Richtig zitiert werden muss immer. Aber die Eigenständigkeit einer Leistung kann auch im Zusammenfügen eines neuen Bildes bestehen.