SZ-Kolumne "Alles Gute":Fünf Sterne für den Orthopäden

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(Foto: Steffen Mackert)

Wer sich mit Coronaleugnern anlegt, sollte mit extremen Reaktionen rechnen - zum Beispiel mit heftigem Zuspruch und Applaus.

Von Nina Himmer

Weil die Erde Mitte August die Staubspur eines Kometen kreuzt, sieht man nachts gerade auffällig viele Sternschnuppen. Fast zur gleichen Zeit wie am Himmel hat sich diese Woche auch im Internet ein Sternenschauer ereignet. Im Minutentakt hagelte es dort 5-Sterne-Bewertungen für einen Orthopäden aus Wasserburg am Inn. Nicht etwa, weil er besser Bandscheiben oder Menisken retten kann als andere Vertreter seines Fachs. Sondern, weil er Haltung zeigte. Gut, auch das mag für einen Orthopäden angezeigt sein - gerader Rücken, aufrechter Gang, gestraffte Schultern. Doch dass aus 15 Bewertungen quasi über Nacht fast 600 wurden, hat einen anderen Grund.

Johann Näbauer hat einer Coronaleugnerin den Zutritt zu seiner Praxis verwehrt. Sie wollte eine Spritze gegen Nackenschmerzen haben (vielleicht zu viele Sternschnuppen gezählt?), aber keine Maske tragen. Es kam zu unschönen Szenen am Empfang, Beschimpfungen der Mitarbeiterinnen und schließlich wurde die Dame vor die Tür gesetzt, wo man sie mit einem Rezept versorgte. Wutentbrannt vergab sie daraufhin eine vernichtende 1-Sterne-Bewertung und rief in der Telegram-Gruppe eines Vegankochs auf Abwegen rund 60 000 Mitglieder dazu auf, das Gleiche zu tun.

Nun, die Attacke ging nach hinten los. Statt Hetze hagelte es Sterne. "Leider sind Sie etwas weit entfernt, sonst wäre Ihre Praxis sicher meine erste Wahl" schreibt eine Nutzerin, "Fünf Sterne, da er sich zum Wohle seiner Patienten einsetzt", ein anderer. Auch die sachlich-freundliche Reaktion des Arztes selbst fand viel Anklang. Das Schöne: Wühlt man sich durch all die netten Worte, erscrollt man sich Stück für Stück etwas Zuversicht und Glauben an die Menschheit zurück.

Denn auch, wenn man es eigentlich besser wissen müsste, wirkt die Welt in diesen Tagen doch oft verrückt und aus den Fugen geraten: Bilder von dicht gedrängten Demonstranten, Bilder von dicht gedrängten Partygästen, Bilder von dicht gedrängten Urlaubern. Dazu fast täglich Diskussionen mit Menschen, denen man in der Bahn oder im Supermarkt schon an der freigelegten Nasenspitze ihre Überzeugung ansieht.

Kleine Geschichten wie diese tun da einfach gut. Egal, ob es dabei um einen kalifornischen Kellner geht, der von einem Coronaleugner zwar kein Trinkgeld, dafür aber Tausende Dollar Spenden von anderen Gästen bekommen hat. Oder um einen wackeren Orthopäden aus der bayerischen Provinz. Es tut gut, Solidarität und Empathie zu spüren. Fast so, als wäre ein Sternschnuppenwunsch in Erfüllung gegangen.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure wöchentlich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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