Klimaproteste:Wie tickt die "Generation Greta"?

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Die Umweltaktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer treffen am Donnerstag die Bundeskanzlerin. Wie tickt ihre Generation? (Foto: picture alliance/dpa)

Um diese Frage geht es nicht nur beim heutigen Treffen der Bundeskanzlerin mit Aktivistinnen, sondern auch in einem analysestarken Sachbuch von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht. Doch ein wichtiger Aspekt fehlt.

Rezension von Jana Anzlinger

Massenhaftes Artensterben, Ressourcenmangel, Hitzetote, Dürren, Stürme und Sturmfluten: Jeder Mensch, der heute im Kinder- oder Jugendalter ist, könnte diese Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen, wenn die Erhitzung der Erde nicht gebremst wird. In Anbetracht dessen ist die Generation Z, Jahrgang 1997 und jünger, eine "Generation Klima" oder eine "Generation Fridays for Future", auch wenn nicht all ihre Angehörigen am Klimaprotest teilnehmen. Es ist eine Generation, aus der eine so junge und große Jugendbewegung hervorgegangen ist, wie es sie noch nie gegeben hat: Schüler gehen auf die Straße, jeden Freitag. Und sie bestreiken den Unterricht, in Deutschland seit Dezember 2018. Das sichert ihnen die Aufmerksamkeit der Erwachsenen. "Fridays for Future", kurz FfF, ist zu einer weltweiten, organisierten und vernetzten Bewegung herangewachsen. Was motiviert so junge Menschen, sich einer solchen Aufgabe zu stellen?

Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht gehen dieser Fragestellung nach: Was die "Generation Greta" denkt und fühlt, soll ihr Buch erklären. Die Bezeichnung "Generation Greta" versuchen Hurrelmann und Albrecht mit Nachdruck zu etablieren - schließlich stehe kaum jemand so sinnbildlich für diese Generation wie die Aktivistin Greta Thunberg. Diese Reduktion auf ein Individuum geht ein wenig am Wesen der Bewegung vorbei - die Nachkriegskinder waren auch nicht die "Generation Rudi", obwohl Dutschke für die Generation und ihren Protest stand. Auch die Generationen X und Y sind (zum Glück) nicht nach archetypischen Vertreterinnen wie Heidi Klum und Miley Cyrus benannt.

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Es wird das zweite Mal, dass die beiden persönlich aufeinandertreffen. Glaubt man Thunberg, hat sie an das erste Treffen nicht so gute Erinnerungen.

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Wie immer man sie nennt: Wer verstehen will, wie diese Generation tickt, findet in diesem Buch ein so umfassendes wie detailliertes Porträt. Vom Dating über das Schulsystem bis zu den Berufsaussichten - alles, was diese Generation betrifft und ausmacht, wird erläutert. Warum die jungen Leute sich nicht in Parteien engagieren, was ihr Kampf mit Bildungspolitik zu tun hat, weshalb unter ihnen besonders viele Grünen-Anhänger, aber in einigen Gegenden auch besonders viele AfD-Anhänger sind, wie sie ihren Kampf gegen die Erwachsenen mit einem engen Verhältnis zu den eigenen Eltern in Einklang bringen: Hurrelmann und Albrecht haben sich mit den jungen Menschen auseinandergesetzt, statt sie nur oberflächlich zu beschreiben.

Der Klimaprotest ist eng verbunden mit Kritik am veralteten Bildungssystem

Spannend ist ihre Analyse, wie eng der Protest doch mit Kritik am veralteten Bildungssystem einhergeht, das dem Einzelnen nicht immer gerecht wird und die Digitalisierung, wie viele Beispiele belegen, weitgehend verschlafen hat. Auf die Ausbildungs- und Studiumssituation und berufliche Perspektiven der Generation wird ebenfalls eingegangen. Sie konnte offenbar viel Kraft daraus schöpfen, diesbezüglich vor einer rosigen Zukunft zu stehen - spannend wird sein, ob dieser Buchteil in der Post-Corona-Welt Bestand hat.

Hurrelmanns und Albrechts Analyse basiert auf einer Kombination aus bestehenden wissenschaftlichen Studien und Interviews, die die Autoren selbst geführt sowie Beobachtungen, die sie selbst in Schulen und bei Protesten gemacht haben. So kommen viele Kinder und Jugendliche selbst zu Wort. Ihre Zitate verleihen der Analyse zwar durchaus Glaubwürdigkeit, doch es funktioniert nicht immer, damit etwa eher freie Interpretationen der Shell-Jugendstudie zu rechtfertigen. Zu oft sollen die zitierten Jugendlichen mit einzelnen Zitaten ohne Kontext pars pro toto für alle sprechen - und gleichzeitig individuell und authentisch wirken, weshalb in der Regel Pullover und Haarfarbe des Zitatgebenden beschrieben werden.

Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht: Generation Greta. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist. Beltz, Weinheim 2020. 271 Seiten, 19,95 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (Foto: N/A)

Auch bei manchen Begrifflichkeiten und ihrer Auffassung von Geschlechterrollen hinken die Autoren den von ihnen beschriebenen jungen Menschen hinterher. Die Ehe für alle wird als "Homo-Ehe" bezeichnet, und unter "Wer ist Greta Thunberg?" geht es eine halbe Seite lang um den Protest der Schwedin und dann doppelt so lang um ihre Behinderung. Dass bei "Fridays for Future" mehr Mädchen und junge Frauen mitmachen als Jungs und junge Männer, wird damit erklärt, dass sie das Thema stärker anspreche: Schließlich gehe es nicht um "klassische Politikthemen", die sich "um Macht und Herrschaft und möglicherweise Geld, Gewalt und Krieg" drehten.

Was leider zu kurz kommt, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Klimapolitik, die die Protestierenden kritisieren, und den Vorschlägen, die sie stattdessen machen. Erst wer sich in diese Auseinandersetzung traut, wird jener nachdenklichen, engagierten, ehrgeizigen und offenen "Generation Greta" doch wirklich gerecht.

© SZ vom 17.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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