Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 3:Highway to sell

Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 3: Präsidentin mit Weitblick: Bettina Reitz hat große Pläne für die HFF und die Stadt.

Präsidentin mit Weitblick: Bettina Reitz hat große Pläne für die HFF und die Stadt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine autofreie Künstlermeile wünscht sich Bettina Reitz für München. Als Chefin der Filmhochschule träumt sie von Vernetzung und einem Digital Art Center

Von Bernhard Blöchl

Man muss sich das in etwa so vorstellen: Bettina Reitz sitzt vor ihrem Häuschen auf Mallorca und denkt über die Zukunft ihrer Wahlheimat München nach. Sie philosophiert am Telefon über verkehrsfreie Kulturmeilen und Naturgeräusche im Großstadtrauschen, über gesellschaftliche Herausforderungen und interdisziplinäre Symbiosen. Sie sagt kluge Sätze wie: "Ein Generationentransfer der Fehlerminimierung wäre dringend angeraten." Dass sie sich physisch in Spanien befindet, gedanklich an der Prinzregentenstraße, dem Bernd-Eichinger-Platz und der vernetzten Welt drumherum, passt gut zu der Frau, die schon recht konkret von einem Digital Art Center für die Landeshauptstadt träumt und 2021 mit einer KI-Professur (künstliche Intelligenz) an der von ihr geleiteten Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) beginnen möchte. Das also merkt man schnell: Ihr Denken duldet keine Grenzen, digital ist Pflicht.

Zunächst einmal: Ja, Bettina Reitz ist schwer zu fassen. Den Fototermin am Friedensengel hat sie noch hinbekommen, ein paar Tage vor dem Telefongespräch, kurz nach dem Shooting ging bereits ihr Flieger. Während der Ausgangsbeschränkungen hatte sie mit wenigen Kolleginnen und Kollegen die Stellung an der geschlossenen Hochschule gehalten; die Studierenden mussten sich mit dem neuen Online-Lehrangebot anfreunden. So als müsste sie sich für ihren Auslandstrip rechtfertigen, sagt sie gleich zu Beginn von Mallorca aus, wo sie teilweise urlaubt, teilweise Telearbeit macht: "Jetzt bin ich ausnahmsweise auch mal nicht vor Ort." Das Gespräch fand Ende Juli statt.

Vor Ort bedeutet die HFF, jene 1966 gegründete Talentschmiede mit renommierten Absolventen wie Maren Ade und Wim Wenders, die sie seit Herbst 2015 als Präsidentin leitet. Davor war sie fast alles, was man in der Film- und Fernsehbranche werden kann, wenn man herausragende Managerqualitäten und vielleicht auch ein bisschen Glück hat. Reitz, geboren in Frankfurt am Main, war Redakteurin beim Hessischen Rundfunk und beim ZDF, sie war Geschäftsführerin der Degeto Film und Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks. Sie war an mehreren Oscar-prämierten Produktionen beteiligt, an "Das Leben der Anderen", "Amour" und "Citizenfour". Und das sind nur ein paar von vielen Meilensteinen in ihrer sagenhaften Karriere. Im Februar 2019 begann ihre zweite Amtszeit an der Spitze der Filmhochschule. Und für diese hat sie große Pläne, sozusagen ihre himmlischen Aussichten für den Mikrokosmos HFF, die wiederum, das wird sich am Ende zeigen, symptomatisch für das stehen, was man ihr Wunschkonzert für die Gesellschaft nennen könnte.

Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 3: Eine autofreie Prinzregentenstraße? Schön wär's. Angereichert wäre die Meile in den Träumen von Bettina Reitz mit Galerien, Cafés, Kulturtreffs und einer Kreativszene. Dazu gäbe es inspirierende Naturgeräusche.

Eine autofreie Prinzregentenstraße? Schön wär's. Angereichert wäre die Meile in den Träumen von Bettina Reitz mit Galerien, Cafés, Kulturtreffs und einer Kreativszene. Dazu gäbe es inspirierende Naturgeräusche.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Da wäre also zunächst die eingangs genannte KI-Professur, die die HFF als eine von 50 bayerischen Hochschulen umsetzen darf. Der Entscheidung von Mai dieses Jahres war ein Wettbewerb vorausgegangen, insgesamt wurden 175 Anträge eingereicht. "Wir starten 2021", legt sich Bettina Reitz fest, Arbeitstitel: "Professur KI und Datenwissenschaft in der Medienproduktion". Da geht es etwa um Robotik, Mobilität und Data Science, oder, etwas konkreter: um virtuelle Produktionsprozesse, also eine Art Schnittstelle zu VFX (Visual Effects, dazu gibt es bereits einen Lehrstuhl an der HFF). "Es ist so, dass eine Filmhochschule mit der Technik immer schon am intensivsten zusammenarbeitet im Bereich der Kunsthochschulen", sagt Reitz. Die Studierenden in digitale Forschungsfelder einzubinden, sei immens wichtig. Und wie bei dem zweiten großen Zukunftsziel, dem Digital Art Center, pocht die HFF-Chefin hierbei vor allem auf den Gemeinschaftssinn.

Ohne übergreifende Zusammenarbeit ginge beim Digital Art Center wohl überhaupt nichts voran. Eine "Innovationsschmiede" für München stellt sich Bettina Reitz vor, "wo man neue Entwicklungen im Bereich der Visualisierung und Soundentwicklung vorantreiben will"; wo die Wahrnehmung der Menschen erweitert und sensibilisiert werden soll. Was letztlich dem Medium Film und dem Kino, aber eben auch der Musik zugutekommen soll. Deshalb sind die treibenden Kräfte hinter dem Projekt die HFF und die Hochschule für Musik und Theater beziehungsweise Bettina Reitz und Bernd Redmann - "immer auch im Schulterschluss mit Dieter Rehm von der Akademie der Bildenden Künste und Hans-Jürgen Drescher von der Theaterakademie August Everding", wie Reitz betont. Über diese interdisziplinäre Kooperation war schon Anfang 2019 öffentlich spekuliert worden. Konkrete Details und Zeitpläne gibt es zwar noch immer nicht. Aber Bettina Reitz sagt: "Der Wille ist mehr als da."

Spannend wäre das schon, so ein moderner Raum für Experimente, mitten in der Landeshauptstadt. Außerhalb des Curriculums der Hochschulen. Und auch die Öffentlichkeit soll eingebunden werden. In Vor-Corona-Zeiten habe Reitz eine Exkursion nach Zürich gemacht, wo es, in der Kunsthochschule, "eine Art digital Lab" bereits gebe. "Das war alles sehr beeindruckend", schwärmt sie.

Und dann holt Bettina Reitz weiter aus, löst sich vom Mikrokosmos ihrer Hochschule, um die persönliche Wunschgesellschaft zu skizzieren. Sie spricht nahezu druckreif, wenn sie wortreich die Zukunft ausmalt. "Ich würde mir sehr wünschen, dass die Menschen erkennen, dass wir nur in einer Gemeinschaft und als Teamplayer überlebensfähig sind. Keiner ist alleine so gut, um besser als alle miteinander zu sein. Die Differenzierung und der Reichtum der unterschiedlichen Lebenswelten sind doch die große Qualität unseres Seins auf dieser Welt. Eine Entwicklung in diese Richtung ist mein Lebenstraum."

Den habe sie bereits als Kind gehabt, wie sie sagt. Bettina Reitz ist auf dem Land groß geworden, in einem kleinen Ort im Taunus. "Wir Mädchen waren in der Minderheit, und so mancher Rock wurde zerrissen, wenn wir über die Zäune sprangen, weshalb mir meine Mutter irgendwann Hosen angezogen hat zum Spielen." Gemeinsame Entdeckungen wären nicht möglich geworden, wenn die Freunde sich nicht als Gruppe zusammengerauft hätten. Reitz sagt: "Das ist das, was mich in diesem Leben immer wieder beschenkt: Dass man mit unterschiedlichen Menschen zusammen Abenteuer erleben kann, den eigenen Horizont erweitern darf, jeden Tag aus Fehlern lernt."

Digitalisierung, kollektives Lernen, Natur. Drei wichtige Säulen in der Gedankenwelt der Bettina Reitz. Ihre Zukunft für alle könnte so schön werden.

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