Literatur:In der Bewegung liegt die Kraft

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Der aktuelle Roman von Anne Freytag hat den Titel "Mind Gap". (Foto: Studio Tasca)

Die Münchner Autorin Anne Freytag schreibt und schreibt. Jetzt ist ihr erster Thriller erschienen

Von Yvonne Poppek, München

Das Tempo kann Anne Freytag sehr plastisch erklären. "Es ist wie bei einer Lok", sagt sie. Es sei schwieriger, sie in Gang zu setzen, als sie am Laufen zu halten. Ungefähr so verhalte es sich auch beim Schreiben. "Wenn man einmal einen Lauf hat, dann sollte man weitermachen", sagt die 37-Jährige. Bei Anne Freytag ist dies mittlerweile ein ziemlich gewaltiger Lauf geworden. 16 Bücher hat sie bisher veröffentlicht, zum Teil unter ihrem Pseudonym Ally Taylor. Zuletzt erschien im Mai bei Heyne fliegt der Jugendroman "Das Gegenteil von Hasen", am 21. August kommt nun bei dtv bold der Thriller "Aus schwarzem Wasser" heraus. Ein Grund zur Pause ist das allerdings nicht: Freytag erzählt, sie habe schon zwei neue Buchverträge abgeschlossen, einen bei Heyne, einen bei dtv. 2021 sollen beide Bücher erscheinen.

Das Bild mit der Lok scheint also tatsächlich sehr passend, wenn die Münchner Autorin von ihrer Arbeit spricht. So eine Maschine hat eine gewaltige Energie und Langstreckenqualität. Energie ist auch bei Freytag zu spüren, selbst wenn sie vormittags zum Gespräch an einem Cafétisch sitzt. Extra nicht zu früh, wie sie gebeten hat, sie schreibe bis spät in die Nacht. Momentan, sagt sie, arbeite sie an ihrem "härtesten Buch seit Langem". "Es verlangt mir gerade viel ab." Langsamer werden darf sie deswegen aber nicht, der Zeitplan für die nächsten Bücher steht schon. Und der ist eher knapp bemessen.

Das kennt sie allerdings bereits. Unter Hochdruck habe sie im März "Aus Schwarzem Wasser" abgeschlossen. Die Idee zu diesem Buch habe sie zehn Jahre mit sich herumgetragen, sagt Freytag. Irgendwann habe sie das Gefühl gehabt, "ich kann nur weitermachen, wenn ich diese Geschichte schreibe". Für Freytag, deren Bücher sonst den Genres "New Adult", "All Age" oder "Jugend" zugeordnet werden, ist es der erste Thriller. Wobei sie lieber die Kategorie "Spannungsroman" verwendet. "Thriller" klingt für sie zu sehr nach Mord und Blut.

Blutrünstig ist "Aus schwarzem Wasser" nicht, dennoch gibt es ausreichend Tote. Genausogut hätte man dem Roman aber auch das Label "Fantasy" anheften können. Das 600-Seiten-Buch hat Freytag im Hier und Jetzt angesiedelt, die Handlung beginnt in Berlin. Dort stirbt die Innenministerin Patricia Kohlbeck bei einem Unglück. Ihr Auto stürzt in die Spree, sie ertrinkt. Ihre erwachsene Tochter Maja, die mit im Auto saß, wird ebenfalls für tot erklärt, um einige Zeit später wieder zu sich zu kommen. Maja begreift, dass ihre Mutter ermordet wurde, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und kommt mehr und mehr hinter das Forschungsgeheimnis ihrer Mutter. Diese hat die "Marin" untersucht, eine Spezies, die dem Menschen ähnlich, aber überlegen ist und die im Wasser lebt. Diese Entdeckung macht Maja zu dem Zeitpunkt, zu dem der Konflikt zwischen Mensch und Marin eskaliert.

Freytag hat das Buch in kurze Kapitel aufgegliedert, verschiedene Parallelhandlungen, Rückblenden und Perspektivwechsel rhythmisieren den Roman. Der Inhalt ist handlungsgetrieben und temporeich, Cliffhanger am Ende der Kapitel halten die Spannung hoch. Die fiktive Welt, in der die Marin existieren, hat die Autorin stringent gebaut. Was passiert, wenn der Mensch einen würdigen Gegner hat, nicht uneingeschränkt über die Welt verfügen kann? An dieser Überlegung arbeitet sich der Roman entlang, ohne jedoch philosophischen Gedankengängen nachzuhängen. Freytag entwirft Kausalketten, Handlungen haben stets Konsequenzen.

Gemäß diesem Prinzip funktioniert auch ihr Jugendroman "Das Gegenteil von Hasen" - auch wenn es ein komplett anderes Buch ist. Die Autorin hat schon mehrfach gezeigt, dass sie ein Gespür für Themen hat, die junge Menschen beschäftigen und die zugleich problembehaftet sind. Was passiert am Scheitelpunkt zwischen jugendlich und erwachsen, wenn man zusätzlich feststellt, homosexuell zu sein ("Der Mund voll ungesagter Dinge"). Oder wohin führt es einen, wenn man nur noch wenige Wochen zu leben hat ("Mein bester letzter Sommer"). Und nun fragt sie nach dem fragilen Verhältnis von Opfer und Täter, spielt dies anhand der zeitrelevanten Themen Mobbing und Bloßstellung im Internet durch.

Die zentrale Figur ist dabei Julia, eine der Wortführerinnen in ihrem Schuljahrgang. Julia wird der Laptop gestohlen, darauf sind in einer Art Tagebuch ihre Gedanken abgespeichert, ungefilterte Gedanken zu sich und ihren Mitschülern. Nach und nach werden diese Einträge online gestellt. Doch Julia ist kein unschuldiges Opfer, lange hat sie selbst ihre Mitschüler drangsaliert. Wie in ihrem Thriller arbeitet Freytag auch hier mit Perspektivwechseln und Parallelhandlungen, baut Spannung auf, steigert diese zum Kapitelende. Eine moralische Bewertung bleibt aus, Freytag schildert entlang der Ereignisse und der Empfindungen ihrer Figuren.

"Ich liebe diese großen Gefühle", sagt Freytag. Wenn man jung sei, glaube man beispielsweise, man könne an Liebeskummer sterben. Deshalb schreibe sie gerne über junge Menschen. Die Kategorisierung "Jugendroman" empfinde sie allerdings zunehmend als schwierig, immer wieder stoße sie hier auf Einschränkungen. Den Ausflug ins "Erwachsenengenre", den sie bei ihrem Thriller unternommen hat, setze sie deshalb mit ihren beiden neuen Buchprojekten fort. In hohem Tempo natürlich, die Lok ist schließlich schon auf dem Gleis.

Anne Freytag: Aus schwarzem Wasser , 608 Seiten, dtv bold, 16,90 Euro, Buchpremiere: Do., 20. Aug., 18.30 Uhr, Live auf Instagram @thalia_buchhandlungen; Anne Freytag: Das Gegenteil von Hasen , 416 Seiten, Heyne fliegt, 17 Euro

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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