Freihandelsabkommen Mercosur:Vergiftete Stimmung

Freihandelsabkommen Mercosur: Brasilianischer Regenwald wird illegal niedergebrannt, auch um Raum für die Rinderzucht zu schaffen.

Brasilianischer Regenwald wird illegal niedergebrannt, auch um Raum für die Rinderzucht zu schaffen.

(Foto: Carl de Souza/AFP)

Kritiker wollen den Vertrag zwischen der EU und den Mercosur-Staaten verhindern. Dabei könnte der durchaus dem Umweltschutz dienen.

Von Silvia Liebrich, München, und Michael Bauchmüller, Berlin

An diesem Donnerstag will ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine Protestnote vorlegen, die den Handel mit Pestiziden anprangert. Beteiligt sind Gruppen wie Powershift, Forum Umwelt und Entwicklung, Attac Deutschland, Campact und andere. Es ist nicht die erste Aktion dieser Art, der Widerstand gegen den Handelsvertrag scheint auch in Deutschland zu wachsen.

Die Bundesregierung dagegen will das Abkommen zügig verabschieden, dazu will Deutschland auch seinen laufenden EU-Ratsvorsitz nutzen. Das Abkommen wäre wirtschaftlich das bedeutendste, das die EU bislang geschlossen hat. Mit 780 Millionen Konsumenten würde der größte Freihandelsmarkt der Welt entstehen, der ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung repräsentiert. Befürworter sehen darin ein wichtiges Gegengewicht zu den großen Wirtschaftsmächten USA und China.

Die Initiatoren der jüngsten Protestschrift warnen allerdings vor dem Abkommen. Sie befürchten unter anderem, dass durch den engeren Handel noch mehr hochgiftige Pestizide in die Mercosur-Länder exportiert werden könnten, als es jetzt schon der Fall ist. Allein 2019 exportierten die EU-Mitgliedstaaten den Angaben zufolge Stoffe im Wert von mindestens 915 Millionen Euro in den südamerikanischen Wirtschaftsraum, darunter auch Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind - ein Geschäft, von dem auch die deutschen Konzerne Bayer und BASF profitieren.

Das Abkommen schaffe die Zölle für Pestizide in die Mercosur-Region ab, wodurch die Importe steigen würden, sagt Bettina Müller, Handelsreferentin bei Powershift. "In der EU sind zahlreiche Pestizide aus gutem Grund nicht zugelassen. Sie stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, Ungeborene sowie Organe zu schädigen", sagt sie. Den Export dieser hochgefährlichen Pestizide durch ein Handelsabkommen zu erleichtern, widerspreche allen europäischen Werten.

Auch für Verbraucher in Europa sehen die Kritiker Risiken

Als Hauptabnehmer von chemischen Pflanzenschutzmitteln gilt Brasilien, das Land hat gerade erst seine Zulassungsbedingungen für diese Stoffe deutlich abgeschwächt. Eingesetzt werden die Mittel unter anderem beim Anbau von gentechnisch verändertem Soja, das zum Teil als Futter auch in europäischen Tierställen landet. Argentinien zählt ebenfalls zu den großen Pestizidbeziehern.

Auch für die Verbraucher in Europa sieht das Bündnis Risiken. Lebensmittelkontrollen könnten im Zuge des Abkommens abgebaut werden, so die Befürchtung. Rückstände gefährlicher Pestizide könnten somit auch auf den Tellern europäischer Verbraucher landen. Beispiel Honig: Jährlich würden davon 35 000 Tonnen aus der Mercosur-Region in die EU eingeführt, das mache fast ein Viertel der europäischen Honigimporte aus. Tatsächlich werden bei Proben immer wieder überhöhte Pestizidwerte festgestellt, die Ware muss dann vernichtet werden. Die Einfuhr belasteter Produkte könnte steigen, wenn wie geplant die derzeit fälligen Zölle von bis zu 27 Prozent wegfallen, argumentieren Kritiker. "Die Bundesregierung darf das EU-Mercosur-Abkommen auch aus diesem Grund nicht ratifizieren", meint Müller.

Umstritten ist das geplante Abkommen nicht nur bei Umwelt- und Entwicklungsgruppen. Auch Europas Bauern fürchten Nachteile, weil es höhere Einfuhren etwa von Rindfleisch erlaubt. Die Quote sieht 99 000 Tonnen jährlich vor. Erzeuger diesseits des Atlantiks befürchten, dass billige Importe sie vom Markt drängen könnten. Das könnte vor allem die Betriebe treffen, die tier- und umweltgerechtere Haltung betreiben und dadurch höhere Kosten haben, so die Befürchtung. Die wachsenden Rinderherden Brasiliens gelten zugleich als treibende Kraft hinter der Vernichtung der Regenwälder im Amazonasgebiet.

Seit gut 20 Jahren wird verhandelt. Ist ein Abbruch da überhaupt eine Option?

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro steht deshalb im Zentrum der Freihandelskritiker. Sie führen dabei auch die Attacken seiner Regierung gegen den Rechtsstaat, Menschenrechte und die Demokratie an. Sie glauben, dass dem Mercosur-Vertrag Sanktionsmechanismen fehlen, wenn etwa Brasilien nichts gegen die zunehmenden Amazonasbrände unternimmt oder Bergbaukonzernen erlaubt, in Reservate von Indigenen vorzudringen.

Aber sind das auch gute Gründe, um das Abkommen nach gut 20 Jahre dauernden Verhandlungen abzulehnen? Der Politikwissenschaftler und Südamerikaexperte Professor Detlef Nolte von der Universität Hamburg bezweifelt das. "Ein Abkommen kann dabei helfen, Druck auf Brasilien auszuüben, um seinen harten Kurs zu ändern. Ohne Vertrag wäre das kaum möglich."

Die Einwände der NGOs hält Nolte, der Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist, in einzelnen Punkten durchaus für berechtigt. Aus seiner Sicht braucht das Abkommen wirksame Kontrollmechanismen, um etwa Umweltstandards sicherzustellen. "Da muss man genau hinschauen und zur Not noch nachjustieren", meint er. "Was genau im Vertragstext steht, wissen wir derzeit aber noch nicht ." Laut Bundeswirtschaftsministerium befindet sich das Abkommen derzeit in den letzten Zügen der formaljuristischen Prüfung. Anschließend soll der Text in alle EU-Amtssprachen übersetzt werden. Danach will die Kommission den Vertrag den Mitgliedsländern vorlegen. Beobachter rechnen damit, dass dies Ende des Jahres oder Anfang 2021 der Fall sein wird.

Profitieren würde von dem Abkommen laut Nolte vor allem die europäische Industrie, allen voran Auto- und Maschinenbauer. Der Mercosur-Markt schottet sich derzeit mit hohen Außenzöllen ab. Die Einsparungen könnten mehr als vier Milliarden Euro betragen, heißt es. Zudem würden Unternehmen der EU mit dem Abkommen einen gleichwertigen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den Mercosur-Ländern erhalten.

All das sind für den Südamerikaexperten Nolte gute Gründe, die für ein Abkommen sprechen. Ein Abschluss dürfe nicht an Brasiliens Präsident Bolsonaro scheitern. "Abkommen werden zwischen Staaten gemacht, das sollte man nicht an einzelnen Personen aufhängen. Auch Bolsonaro wird irgendwann wieder verschwinden." Komme das EU-Mercosur-Abkommen nicht zustande, dürfte das den Einfluss von China und auch den USA in der Region stärken. "Ob das dann besser ist für die Umwelt dort, ist fraglich", sagt er.

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