Ernährung:Gutachter fordern CO₂-Kennzeichnung auf Lebensmittelverpackungen

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Ändern muss sich aus Sicht des Gremiums unter anderem, dass vor allem ungesunde Lebensmittel mit großem Aufwand beworben und so Konsumenten beeinflusst werden. (Foto: dpa)

Klöckners Beratungsgremium fordert eine grundsätzliche Wende in der Ernährungspolitik. Der Plan beinhaltet kostenloses Kita-Essen - und einen deutlichen Rückgang des Fleischkonsums.

Von Silvia Liebrich, München

Ein Klimasiegel für Lebensmittel, das Verbrauchern die Wahl beim Einkauf erleichtert? Bislang galt das eher als Fantasterei von Unternehmen wie dem Hafermilchhersteller Oatly. In der Politik jedenfalls wurde die Forderung nach einer solchen Kennzeichnung bislang kaum ernst genommen - zu kompliziert, zu realitätsfern, heißt es da oft.

Nun aber liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, mit dem sich die Bundesregierung ernsthaft auseinandersetzen muss. Er stammt vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), einem der wichtigsten Beratungsgremien im Bundesagrarministerium. Am Freitag übergab der Rat Ministerin Julia Klöckner (CDU) ein Gutachten für einen nachhaltigen Umbau der Ernährungspolitik.

Das Papier hat es in sich: Es fordert eine grundsätzliche Neuausrichtung und mehr staatliche Lenkung. Nicht um Verbraucher zu bevormunden, wie die Wissenschaftler betonen, sondern um ihnen Entscheidungen bei der Auswahl von Lebensmitteln durch mehr Informationen zu erleichtern. "Die gegenwärtige Gestaltung unserer Ernährungsumgebungen macht es Konsumenten und Konsumentinnen sehr schwer, sich nachhaltiger zu ernähren", sagt Harald Grethe, Vorsitzender des Beirats. Deshalb müssten stärkere politische Steuerungsimpulse gesetzt werden - auch im Hinblick auf soziale und gesundheitliche Aspekte.

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Ernährung ist aus Sicht der Experten zugleich eine Erziehungsfrage. Sie schlagen daher unter anderem eine qualitativ hochwertige und kostenlose Essensversorgung in Kitas und Schulen vor, und zwar für alle. Dies würde besonders sozial schwächere Haushalte entlasten, die sich hochwertige Lebensmittel wie Bioprodukte häufig nicht leisten könnten, argumentieren die Forscher.

Neben verbindlichen CO₂-Angaben auf Lebensmittelverpackungen sowie der Nährwertampel Nutriscore schlägt das Gremium ein verpflichtendens Tierschutzlabel vor. Ein wichtiges Anliegen muss es laut Grethe sein, den Fleischkonsum und die Tierhaltung in Deutschland insgesamt zu reduzieren. Nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch Umwelt und Gesundheit zuliebe. Ergänzend dazu schlägt das Gremium Reformen in der Steuerpolitik vor. Fleisch soll demnach mit dem normalen Steuersatz von 19 Prozent belegt werden und nicht wie bisher mit einem reduzierten von sieben Prozent. Zugleich könnten die Steuersätze für gesündere und klimafreundlichere Alternativen, etwa Obst und Gemüse, gesenkt werden. Teil des Maßnahmenkatalogs ist zudem eine Zuckersteuer für Limonaden und stark gezuckerte Nahrungsmittel.

Ändern muss sich aus Sicht des Wissenschaftlers zudem, dass vor allem ungesunde Lebensmittel mit großem Aufwand beworben werden. Viele Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene würden auf diese Weise beeinflusst, ohne dass es ihnen klar sei. "Wir müssen unsere Ernährungsumgebung fairer gestalten, damit die Wahl und das Erkennen von nachhaltigeren Produkten für uns einfacher wird", ergänzt die Gesundheitspsychologin Britta Renner, eine der Gutachterinnen. "Wir können Pizza von nahezu jedem Ort und mithilfe digitaler Technologie bestellen. Bei Obst, Salaten und Gemüsegerichten ist das schon schwieriger", sagt sie. Gedanken haben sich die Berater des Agrarministeriums auch darüber gemacht, wie sich diese Neuausrichtung finanzieren ließe. Die Abschaffung der Mehrwertsteuervergünstigung auf tierische Erzeugnisse würde dem Staat demnach Einnahmen von 4,3 bis 5,0 Milliarden Euro jährlich bringen, eine Zucker steuer 1,0 bis 1,9 Milliarden. Eine staatlich finanzierte Kita- und Schulverpflegung würde dagegen mit etwa 5,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Für den Umbau hin zu einer besseren Tierhaltung veranschlagt das Gutachten etwa zwei Milliarden Euro. Weitere Maßnahmen mit eingerechnet, bliebe letztendlich eine Finanzierungslücke von 2,7 bis 4,3 Milliarden Euro jährlich, rechnen die Experten vor.

Nicht nur in Klöckners Agrarministerium dürften die Vorschläge des wissenschaftlichen Beirats für Aufregung sorgen. In der Regel scheuen Politiker verbindliche Vorgaben in der Ernährung. Der Shitstorm, den die Grünen vor Jahren mit ihrem Vorschlag zur freiwilligen Einführung eines Veggie-Days ernteten, ist noch immer nicht vergessen. "Essen ist ein Teil unserer Kultur und Identität - es ist eben mehr als nur als Energie- und Nährstoffaufnahme. Deshalb ist es für viele von uns sehr wichtig, selbstbestimmt zu entscheiden", erklärt die Psychologin Renner.

Vorschläge wie "weniger Fleisch essen" lösen immer wieder Entrüstung aus, mitunter ist gar von einer Ernährungsdiktatur die Rede. Auch Agrarministerin Julia Klöckner ist skeptisch. Sie bedankte sich zwar für die Vorschläge, machte aber auch deutlich, dass sie ihr zu weit gehen. Sie wolle keine "Ernährungspolizei" einsetzen, so Klöckner. Der Beiratsvorsitzende Grethe betonte, es gehe den Forschern nicht darum, zu verbieten, sondern zu fördern. "Wir müssen auf jeden Fall intensiv darüber debattieren, wie stark der Staat an welchen Stellen und mit welchen Motiven lenkend eingreifen darf", sagt er. Schon jetzt hinke die Politik an vielen Punkten dem gesellschaftlichen Diskussionsstand hinterher, vor allem beim Klima- und Tierschutz.

© SZ vom 22.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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