Mediaplayer:Der tote Matrose

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Das Filmmuseum München streamt die Filme des amerikanischen Regisseurs Mark Rappaport auf seinem Vimeo-Kanal.

Von Fritz Göttler

Die gefährlichsten Haushaltsobjekte in der amerikanischen Gesellschaft sind die Frisierspiegel auf den Tischen der Frauen in den Melodramen der Fünfziger. Sie konfrontieren die Frauen mit ihren Entsagungen und Obsessionen, bringen das gesellschaftliche Gefüge durcheinander, die Balance ihrer Realität und ihrer Träume.

Der New Yorker Filmemacher Mark Rappaport hängt die entsprechenden Szenen aus den Filmen von Douglas Sirk aneinander, zeigt die Frauen vor und gefangen in ihren Spiegeln: Lana Turner und Barbara Stanwyck, Dorothy Malone und Lauren Bacall, Jane Wyman und Susan Kohner, in seinem kleinen Filmessay "The Vanity Tables of Douglas Sirk". Der Film wird im Rahmen des Spätwerks von Rappaport vom Filmmuseum München auf Vimeo gezeigt, bis im September das Programm im Kino wieder aufgenommen wird.

Der wahre Stoff der Tagebücher sind die Filme

In den Siebzigern und Achtzigern hat Mark Rappaport kleine Filme über den bürgerlichen Mittelstand in Amerikas Städten gedreht, "Casual Relations" oder "The Scenic Route", in den Neunzigern machte er sich an das Leben der großen Filmstars, "Rock Hudson's Home Movies" oder "From the Journals of Jean Seberg". Es sind politische Filme. Das wahre Leben ist hier das falsche, das Private erscheint offen auf der Leinwand, der authentische Stoff der home movies und Tagebücher sind die Filme. Fiktive Autobiografien hat Rappaport sein Genre genannt, das Filmmuseum zeigt Beispiele, die in den letzten fünf Jahren entstanden. Geschichte wird hier nicht illustriert, sondern subtil zurechtgerückt. Rappaport verändert unseren Blick mit den klassischen Mitteln der Psychoanalyse, er holt Details aus dem Hintergrund hervor, macht Übersehenes sichtbar, baut Parenthesen ein.

Conrad Veidt erzählt sein "Leben", er ist Cesare, eine der ikonischen Figur des deutschen expressionistischen Stummfilms der somnambule Mörder in "Das Cabinet des Dr. Caligari", 1920. Weitere dämonische Bösewichte folgten, vom Pianisten Orlac bis zu Iwan dem Schrecklichen. Veidt heiratete eine Jüdin und ging nach England, später nach Hollywood. Hollywood war generös den Flüchtlingen gegenüber, sie hatten, mit schwerem deutschen Akzent, fast nur Nazis zu spielen. Veidt war der Major Strasser, der in "Casablanca" die Wacht am Rhein gegen die Marseillaise ins Feld führt. In England war er in den Dreißigern der Jud Süss in einer Verfilmung des Romans von Lion Feuchtwanger. Vielleicht, sinniert er, wäre Goebbels, wenn mein Film nicht so erfolgreich gewesen wäre, gar nicht auf die Idee gekommen, selbst eine Verfilmung zu planen.

In Casablanca trifft Veidt unter anderen auf Marcel Dalio, den französischen Charakterdarsteller, dem Rappaport ebenfalls einen Film widmete, der immer wieder Verräter, Spitzel, Zuhälter spielen musste und Juden, dem Jean Renoir dann aber zwei wunderbare Rollen gab, in "Die große Illusion" und in "La regle du jeu". Vielleicht, sinniert Dalio, hätte er ja, mit seinen kleinen schweren Lidern, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem anderen Marcel, und Rappaport schiebt zur Erläuterung ein Bild von Proust neben das von Dalio.

Bei Eisenstein geht es um Revolution, vor allem aber Liebe

Die Imagination kennt, wenn es um die Geschichte geht, keine Grenzen bei Rappaport. Auch das Hypothetische gehört zur Wirklichkeit von Hollywood. In einem kleinen Stück um Max Ophüls, der ebenfalls aus Europa fliehen musste und vier Filme in Hollywood machte, wird von einem angedachten Ophüls-Projekt erzählt, 1948, mit Greta Garbo und James Mason, es gibt Probeaufnahmen dafür, von Garbos Leibkameramann. Wie könnte dieser Film, wenn er gedreht worden wäre, aussehen, fragt (und zeigt) Mark Rappaport.

Eine Liebeserklärung eigener Art ist "Sergei/Sir Gay". Der Filmemacher Sergej Eisenstein erklärt sich in seinen Filmen, in Einstellungen der schlafenden Matrosen in ihren Hängematten in "Panzerkreuzer Potemkin" bis zu denen gelockter Jünglinge in "Iwan der Schreckliche". Es mag um Unterdrückung und Revolution gehen in diesen Filmen, aber vor allem, als wären sie private movies, um Eisensteins Liebe zu Männern, die in der sowjetischen Gesellschaft verpönt ist. Mit "Sir Gay" hat er anzüglich schon in der Jugend seine Skizzen signiert, Tausende sind es im Verlauf seines Lebens geworden, erotische, pornografische, Liebespositionen und Pimmel. Er sei ein Fetischist, gesteht er, und sicher kein angenehmer Typ - aber so was müssen Filmemacher eh nicht sein -, und er enthüllt uns, wer seine größte Liebe war, Grigori Antonow, der Matrose, der den Aufstand auf dem Panzerkreuzer anführt. Der tote Matrose, wie er auf einem Kranseil des Schiffs hängt, das ist Eisensteins heimliche Pietà. Die halbe zumindest. Er selber bleibt hinter der Kamera und im Schneideraum.

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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