Die Phrasendrescher:Echt gelogen!

Der Arbeits-Alltag macht alle zu Phrasendreschern: Wer sagt im Job schon die Wahrheit? Über die kleinen und großen Lügen am Arbeitsplatz.

Nicola Holzapfel

"Wie geht's dir?". Auf diese vermeintlich einfache Frage gibt es selten eine ehrliche Antwort. Meist lautet sie: "Danke. Gut." Dass man in Wirklichkeit im Stau stand und der erste Termin ärgerlicherweise kurzfristig gecancelt wurde, behält man für sich. Warum auch nicht? Es gibt schließlich mehr Unehrlichkeiten, kleine wie große, die man tagaus tagein von sich gibt.

Wer sagt im Job schon, was er wirklich meint? Da ist zum Beispiel die "Alles-prima-Lüge". Sie gehört zum Standard-Repertoire jedes Beschäftigten. Sie äußert sich etwa in der Formulierung "Das ist ein interessanter Vorschlag". Das klingt zwar freundlich, bedeutet aber in Wirklichkeit nichts anders als: "Was erzählen Sie denn da für olle Kamellen?" Das Praktische an der Alles-prima-Lüge ist: Sie ist eine Allzweck-Waffe. Selbst absolute Reinfälle lassen sich damit wundersam beschönigen. Stellt sich zum Beispiel ein neues Produkt als Ladenhüter heraus, rechtfertigt man sich beim Vorgesetzten mit den sinnfreien Worten: "Es ist von der Qualität her sehr gut, aber von der Quantität her ausbaufähig."

Eine der gängigsten Schwindeleien dürfte jedoch die Meeting-Lüge sein: "Tut mir leid, ich bin gerade in einer Besprechung." Der Adressat weiß sofort: "Da hat jemand Besseres zu tun als mit mir zu sprechen". Schließlich hat er sich selbst schon x-Mal auf diese Art herausgeredet.

Aber das scheinbar harmlose Spiel mit der Unehrlichkeit kann durchaus negative Folgen haben, für den Einzelnen wie für die Firma. Da ist etwa die Arbeitszeit-Lüge. Nine-to-Five ist passé, stattdessen wird geschuftet, was das Zeug hält. Als steckten alle in dem Wettkampf "Wer kann am längsten?". Dass die Arbeitsqualität zu später Stunde nicht die beste ist und Manches bei besserer Planung auch früher hätte erledigt werden können, spielt keine Rolle. Lieber wird durch den Büroflur posaunt: Wer früh geht, hat wohl nicht genug getan.

Damit eng verwandt ist die Motivations-Lüge. In den vergangenen Jahren hat sich die Meinung durchgesetzt, man könnte nur dann aus seinen Beschäftigten mehr herausholen, wenn man ihnen ein paar extra Geldscheine vor die Nase hält. Bezahlung nach Leistung!, lautet das Motto. Doch deren Höhe hängt oft von Faktoren ab, die der Einzelne gar nicht direkt beeinflussen kann. Stattdessen schlägt das Betriebsergebnis aufs Gehalt durch. Oder die Ziele sind so hoch, dass sie unerreichbar sind. Der Motivationseffekt ist dabei: gleich null.

Dabei ist es gar nicht so schwierig, seine Beschäftigten zu motivieren. Die meisten arbeiten und leisten nämlich von sich aus schon gern. Dass es am Engagement mitunter trotzdem hapert, liegt: an der Führungs-Lüge. Hier stimmt nicht einmal die Wortwahl. Denn die meisten Mitarbeiter werden nicht geführt, sondern verwaltet. Ob in ihnen verborgene Talente schlummern und sie sich entwickeln können, wen interessiert's? Den Chef häufig nicht. Stattdessen gilt das Motto: Hauptsache, sie funktionieren.

Dabei wäre es wohl an ihm, für ehrlichere Stimmung zu sorgen. Wo ist der Chef, der Tacheles redet, Dampfplauderer erkennt, seine Beschäftigten abends nach Hause schickt und Fehler zugibt? Schwer zu finden. Da bleibt also nur: die Revolution von unten. Wenn das nächste Mal jemand auf die Frage "Wie geht es dir?" antwortet "schlecht!", sollte man aufmerken. Womöglich hat man einen potenziellen Revoluzzer vor sich stehen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: