Streit um App-Store:"Viele Entwickler trauen sich nicht, etwas gegen Apple zu sagen"

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Firmengründer und App-Entwickler Oliver Reichenstein. (Foto: Niko Kitsakis)

Apple verlangt für Käufe im App-Store 30 Prozent Provision. Der Gründer Oliver Reichenstein erklärt, warum das Entwicklern schadet und wie auch Nutzer unter Apples Dominanz leiden.

Von Simon Hurtz, Berlin

Seit rund zwei Wochen liefern sich Epic Games und Apple ein "Battle Royale". So heißt der beliebteste Spielmodus in Fortnite, dem erfolgreichsten Videospiel der Welt. Dabei wird gekämpft, bis nur noch ein Spieler übrig ist. Fortnite-Entwickler Epic wollte mit einem Trick die 30 Prozent Provision umgehen, die Apple für digitale Verkäufe in seinem App-Store verlangt. Apple verbannte das Spiel, Epic klagte, Apple eskalierte, Epic zog vor Gericht, Apple klagte zurück.

Epic verdient mit Fortnite Milliarden und kann sich den Aufstand leisten. Viele kleinere Entwickler leiden unter der hohen Provision. Dazu zählt Oliver Reichenstein, der 2005 die Agentur Information Architects (iA) gründete. Das Unternehmen entwickelte unter anderem den Texteditor iA Writer und zahlt für jeden Kauf knapp ein Drittel an Apple. Vergangene Woche machte Reichenstein seinen Ärger in zwei langen Blogeinträgen öffentlich. Im Interview erklärt er, warum die Provision sein Geschäftsmodell gefährdet und wie Apple Entwicklern Abomodelle aufdrängt, obwohl Nutzer Software lieber kaufen als mieten würden.

SZ: Epic Games und Apple trollen, beschuldigen und verklagen sich gegenseitig. Wem gilt Ihre Sympathie?

Oliver Reichenstein: Als Konsument und Geschäftsinhaber bin ich seit 25 Jahren glücklicher Kunde bei Apple. Als Designer und Gamer begeistert mich Epic heute wie damals Nintendo. Als Vater bin ich vom iPhone und von Fortnite in etwa so begeistert wie von Drogendealern, die ums Schulhaus schleichen. Als Entwickler bin ich abhängig von Apple. Als Unternehmer unterstütze ich Epic, das gegen Apples Marge von 30 Prozent aufbegehrt. Kurz: Ich bin hin- und hergerissen. Nur nicht bei der Provision. Da bin ich mir sicher: Die ist zu hoch.

Den App-Store gibt es seit zwölf Jahren. Apple hat vom ersten Tag an 30 Prozent Provision verlangt. Wer eine iOS-App anbietet, kann damit kalkulieren. Warum ist das plötzlich ein Problem?

Vor zehn Jahren entwickelten wir zu dritt die App iA Writer. Sie wurde schnell zu einem großen Erfolg. Aber die Verkäufe waren stark von der internen Hitparade des App-Stores beeinflusst, unser Einkommen schwankte wild. Damals war es möglich, mit einem kleinen Team in manchen Monaten mehr als 30 Prozent Gewinn zu machen, sodass uns etwas übrig blieb. Heute sind die Einkommenskurven langweilig flach. Als Kleiner hat man nichts mehr zu melden. Erfolgreiche Unternehmen machen genau die 30 Prozent Gewinn, die Apple einstreicht. Diese Provision vernichtet systematisch jedes Wachstum. Wir jammern nicht grundlos.

Google verlangt im Play-Store ebenfalls 30 Prozent. Auch Konsolenhersteller wie Microsoft, Sony und Nintendo zweigen diese Provision ab. Warum stürzen sich alle auf Apple?

Apple gibt beim Preis den Takt vor. iOS ist die mit Abstand wichtigste Plattform für App-Verkäufe. Android hat den größeren Marktanteil, aber zwei Drittel des Gelds im App-Markt fließen an Apple. Wer Google zwingen kann, viele Milliarden pro Jahr hinzublättern, damit man die Standardsuchmaschine auf dem iPhone bleibt, der sagt, wie der Hase läuft. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit einem Apple-Gerät online Geld ausgibt, ist zehnmal größer als bei Android-Nutzern. Wenn Apple mit den Zahlen runtergeht, dann folgen die anderen.

Apple hat ein Ökosystem erschaffen, das Tausende erfolgreiche Unternehmen hervorgebracht hat. Allein im vergangenen Jahr haben Entwickler mit ihren iOS-Apps rund 40 Milliarden Dollar verdient. Das klingt nach einem Modell, von dem beide Seiten profitieren. Was stört Sie an dem System?

40 Milliarden klingen beeindruckend. Vor allem, wenn man sich vorstellt, dass dieses Geld an unabhängige Entwickler wie uns fließt. Das ist aber ein Märchen. Drei Viertel gehen an Games von Nintendo, Epic, Rockstar und anderen riesigen Studios. Die restlichen zehn Milliarden fließen größtenteils an die Top-100-Apps. Also an Unternehmen wie Amazon, Microsoft und Disney, die mit Unterhaltung und Office-Anwendungen den App-Store dominieren.

Wie viele Märchenmilliarden bleiben für die restlichen 20 Millionen Entwickler übrig? Eine Milliarde? Zwei? Vier? Vier Milliarden geteilt durch 20 Millionen gibt im Schnitt 200 Dollar pro Entwickler. Die allergrößten Apps zahlen übrigens gar nichts an Apple. Youtube, Gmail, Facebook oder Instagram sind gratis, setzen aber Milliarden mit Werbung um, auf die keine Provision fällig wird. Auch Airbnb oder Uber sind von der Apple-Steuer befreit, weil sie physische Waren oder Dienstleistungen verkaufen.

Kurz nachdem Epic den Streit mit Apple losgetreten hat, haben Sie Ihren Ärger öffentlich gemacht. Wie fallen die Reaktionen aus?

Wir sind überrascht, wie groß das Interesse ist. Die Reaktionen sind fast ausschließlich positiv. Viele Entwickler trauen sich nicht, etwas gegen Apple zu sagen. Im Augenblick plappern iPhone-Fans die PR von Apple nach, Fortnite-Spieler feiern Epics Revolte. Dem Streit fehlte die Sicht von innen, die Perspektive eines Entwicklers, der keine Milliarden verdient. Dass wir damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, wird offensichtlich mehr geschätzt, als wir dachten.

Früher habe ich Programme gekauft. Jetzt miete ich Software und zahle jeden Monat für Office-Programme, Cloud-Speicher, Bookmark-Dienst, VPN und ein halbes Dutzend Apps. Für solche Abonnements verlangt Apple vom zweiten Jahr an nur 15 Prozent Provision. Was hält Sie davon ab, den iA Writer im Abo anzubieten?

Technisch wäre das einfach, aber wir mögen dieses System der Zwangsmieten nicht. Und wir haben unsere Kunden gefragt. Die bloße Vorstellung löst Abscheu aus. Den absehbaren Shitstorm würden wir überstehen. Man entschuldigt sich und erklärt, dass Abos eben ökonomisch unausweichlich seien. Außerdem ist es ja nur ein Kaffee pro Monat und so weiter. Die Erklärungen sind immer dieselben. Aber wir wollen uns nichts aufzwingen lassen, das unsere Kunden und wir selbst ablehnen. Apple strebt dieses Jahr 600 Millionen Abos an. Dieses unternehmerische Ziel wird auf Biegen und Brechen verfolgt. Entwickler, die kein Abo anbieten, verlieren an Sichtbarkeit und werden von Apples Algorithmen abgestraft. Auch deshalb wechseln so viele Apps auf ein Modell zum Mieten, obwohl es die Nutzer ablehnen.

Aber Apples eigene Software gibt es noch zum Kaufen.

Die müssen sich selbst ja auch keine Provision zahlen. Programme wie Final Cut Pro sind teure Software für Profis, und die wollen ihre Werkzeuge besitzen. Man stelle sich vor, Friseure müssten ihre Scheren und Föns mieten. Große Agenturen haben kein Problem damit, monatlich für Photoshop zu zahlen, deren Budget gibt das her. Selbständige Designer und kleinere Agenturen hassen Adobe bis heute für die erzwungene Miete. Wir bieten Profiwerkzeuge für Schreibende an und denken, dass unsere Kunden die Wahl haben sollten.

US-Verlage haben Tim Cook einen offenen Brief geschrieben. Sie verlangen dieselben Bedingungen wie Amazon, das 2016 einen geheimen Deal mit Apple geschlossen hat und seitdem nur die Hälfte abgibt. 15 Prozent Provision für alle Entwickler, wäre das ein Ergebnis, mit dem Sie zufrieden wären?

Das würde Entwickler vom ökonomischen Druck befreien, Nutzern um jeden Preis das Abomodell aufzuzwingen. Trotzdem sind 15 Prozent noch immer eine große Last. Am liebsten sähe ich, dass Apple es uns wie auf dem Mac erlaubt, Apps auch ohne App-Store zu installieren.

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