Alben der Woche:Das ewige Durchhalte-Häschen

Katy Perry bringt Kohlensäure-Pop, "Metallica" Orchester-Metal wie vor 20 Jahren. Gregory Porter schmachtet ein Flugzeug an und "Toots and the Maytals" und Helge Schneider machen der Welt Mut. Wenigstens die.

Helge Schneider - Mama (Roof Music)

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(Foto: N/A)

Wie viel Humor verträgt eigentlich so eine Krise? Oder anders: Über wie viel Spaßmacherein kann man eigentlich noch lachen in der Corona-Gegenwart? Einen besseren Testballon für diese Frage als ein neues Helge-Schneider-Album kann es eigentlich nicht geben. Der große Virtuose des deutschen Witzhandwerks liefert auf "Mama" (Roof Music) die Essenz seiner Kunst: eine liebevoll verballerte Verschränkung von gagaeskem Humor und Jazz-/Weltmusik. Der 64-Jährige hat die ganze Platte komplett alleine aufgenommen, arrangiert und jedes Instrument von Trompete bis Kontrabass eingespielt: Spur für Spur wird daraus der Schneider'sche Jazz-Klamauk, bei dem sich Mongolei auf Spotify reimt, einsame Herzen bei Ebay reingestellt werden und Roswitha aus der "Schriptease-Bar" ihren großen Auftritt hat. Schöne Blues-Schleicher stehen neben Quarantäne-Schlagern, Space-Funk-Stücke neben Mini-Hörspielen über blutige Friseurbesuche. Dazu kann man mit den Füßen wippen und über die kleinen Blödeleien kichern. Hat in einem Krisensommer noch niemandem geschadet.

Angel Olsen - Whole New Mess (Jagjaguwar)

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(Foto: N/A)

"Whole New Mess" (Jagjaguwar) heißt das neue Album von Angel Olsen. Bis auf zwei Songs besteht es zwar eigentlich nur aus unveröffentlichten Akustikversionen ihres letzten Albums, die klingen aber so anders, so unmittelbar und auf brutale Weise roh, dass die beiden Platten nicht unterschiedlicher sein könnten: Wo die Songwriterin letztes Jahr auf dem Album "All Mirrors" mit üppigen Orchestrierungen überraschte, erzählt "Whole New Mess" in einer intimen Grundstimmung und nur mithilfe von Gesang und schläfrig gezupfter Gitarre vom Gefühlsleben einer Frau, die verlassen wurde: von den armselig durchgeheulten Stunden auf dem Fußboden und der gefakten Tapferkeit, mit der sie erst mal weitermacht. Olsen geht dahin, wo es richtig wehtut, textlich genauso wie stimmlich, was auf zwanghafte Weise fesselnd ist.

Katy Perry - Smile (Capitol)

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(Foto: N/A)

Dass der Zeitgeist eine viel zu glitschige Sache ist, als dass man sich als Popstar ewig an ihm festklammern kann, weiß wohl niemand besser als Katy Perry. Seit 2008 hat sie mit ihren hyperstilisierten, knallbunten Highscore-Pop-Hits eine dermaßen erfolgreiche Karriere hingelegt, dass es einen nicht wundert, wenn sich die Sängerin auch auf ihrer neuen Platte nicht so recht aus der musikalischen Komfortzone heraus traut. Die Songs auf "Smile" (Capitol) klingen genauso, wie Perry-Songs immer geklungen haben: Stadium-Pop, mal mit hohem Kohlensäuregehalt, mal mit Midtempo-Synthies, aber immer mit Vorschlaghammer-Refrains. Kurzum: bombastisch ja, aufregend nein. Irgendwie wollen sich selbst die neu hinzugekommenen Themen - Unsicherheit, Depression, überhaupt die ganze große Selbstreflexionsrunde - nicht im Sound niederschlagen. Katy Perry bleibt die unverbesserliche Optimistin, das ewige Durchhalte-Häschen und eine der ganz wenigen Popsängerinnen, die im Jahr 2020 mit voller Ernsthaftigkeit eine Zeile wie diese singen können: "I know there's gotta be rain/ If I want the rainbows" - ohne Regen gibt's auch keinen Regenbogen. Für die Supermarktbeschallung taugt das allemal, für den nächsten TikTok-Viral-Hit eher nicht. Und vielleicht ist das in diesen überdrehten Zeiten auch vollkommen okay.

Metallica - "S&M2" (Universal Music)

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(Foto: Universal)

Die Wiederkehr des Immergleichen: Als wäre nichts passiert, machen Metallica mit "S&M2" einfach da weiter, wo sie vor 20 Jahren mit ihrem ersten Orchesteralbum aufgehört haben. Neu ist nur der Bassist Robert Trujilo. Der spielt erst seit 17 Jahren bei der Band. Die Hälfte der Songs hat Metallica schon damals aufgenommen - und im Vergleich zur Aufnahme von 1999 wirken James Hetfield und seine Kollegen etwas fahrig und unmotiviert. Das San Francisco Symphony Orchestra liefert den Soundtrack dazu. Immerhin: In den besten Momenten merkt man noch die rohe Energie der Musik und kurz scheint dann zwischen Metal und Klassik etwas sehr Archaisches auf.

Gregory Porter - "All Rise" (Universal Music)

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(Foto: Universal)

Flugzeuge werden viel zu selten besungen. Raketen, klar. Schiffe auch. Flugzeuge sind eher nur Metaphern für luftige Gefühle. Ein anständiger Schmachtfetzen für - zum Beispiel - die 747: Fehlanzeige. Ein großes Glück also, dass Gregory Porter diese Lücke schließt und wenigstens der Concorde ein Denkmal singt. Der gleichnamige Song ist ein wunderbar aus der Zeit gefallenes Soul-Sound-alike von "Love Lift Us Up (Where We Belong)". Während die Bläser wolkig herumchmeicheln durchschneidet das lyrische Ich mit doppelter Schallgeschwindigkeit die Stratosphäre und schmachtet der geliebten entgegen. Man hört den Song, natürlich, schon auf Flughäfen. Der Rest auf "All Rise" (Universal Music) ist, nun ja, ein Gregory-Porter-Album eben: Jazz-Soul, so samtig und flauschig und wattig und weich, dass er potenziell jedes Wirbeltier der Welt sofort in Siebzigerjahre-Soft-Porno-Sex treiben könnte. Mindestens. Man kann einem Album wahrscheinlich Schlimmeres nachsagen.

Toots and The Maytals - "Got To Be Tough" (Trojan Jamaica / BMG)

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(Foto: dpa)

Vorsicht mit Superlativen, klar. Aber man ordnet den Gesang von Frederick Nathaniel "Toots" Hibbert eben erst adäquat ein, wenn man ihn neben den von Künstlern wie Otis Redding stellt. Dieser unnachgiebige Soul, die Dringlichkeit. Eine Gewalt. Auf "Got To Be Tough" (Trojan Jamaica / BMG), dem ersten Album von Toots and The Maytals seit mehr als zehn Jahren, klingt diese Stimme vom Alter (Hibbert wird je nach Quelle im Dezember entweder 76 oder 78...) wirklich erstaunlich ungerührt. Das ist gut. Der Sänger hat sich nämlich, weitestgehend in Eigenregie, ein paar recht muskulöse Playbacks unter den Gesang arrangiert - unter anderem eine ordentlich kraftmeiernde Version von "Three Little Birds", auf der Bob Marleys ältester Sohn Ziggy mitsingt. Zak Starkey, der Sohn wiederum von Ringo Starr und eigentlich auch selbst Drummer, pfercht ein paar sehr aufmüpfige Gitarren in den Raum, den die Bläser noch lassen. Sly Dunbar (Sly And Robbie) spielt Schlagzeug, Cyril Neville Percussions. Überraschen kann da nicht sehr viel - schiefgehen aber auch nicht. Im Titelstück singt Hibbert, dass die Dinge womöglich gerade schwer seien, "so hard - but we have to overcome it". Weitermachen, egal wie hart die Lage ist. Das taugt sowohl zum Motto dieses Jahres, als auch seiner gesamten Karriere. Und vermutlich ist das doch ziemlich genau die Definition von Relevanz.

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(Foto: AP)

Eine der ganz wenigen Popsängerinnen, die im Jahr 2020 mit voller Ernsthaftigkeit eine Zeile wie diese singen können: "I know there's gotta be rain/ If I want the rainbows": Katy Perry.

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