Geldpolitik:Historischer Strategiewechsel der US-Notenbank

Fed-Chef Jerome Powell bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus

Fed-Chef Jerome Powell, hier bei einer Anhörung im US-Repräsentantenhaus Ende Juni, verkündete das neue Inflationsziel per Videokonferenz.

(Foto: Tasos Katopodis/Reuters)

Die Federal Reserve verabschiedet sich von einem starren Inflationsziel und stellt sicher, dass es weiter billiges Geld gibt.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die amerikanische Notenbank Federal Reserve akzeptiert künftig höhere Inflationsraten. Mit ihrer historischen Entscheidung schaffen sich die Währungshüter den nötigen Spielraum, um die Leitzinsen bis auf weiteres auf dem aktuell niedrigen Niveau nahe null Prozent zu halten. "Die Entscheidung reflektiert die Lehren aus den letzten Jahren, als die Inflationsrate nicht so gestiegen ist wie erwartet, obwohl die Arbeitslosenrate stark gefallen war", sagte Fed-Präsident Jerome Powell am Donnerstag in seiner Rede zur Eröffnung des diesjährigen Notenbanksymposiums Jackson Hole, das in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie virtuell im Internet stattfindet.

Der Strategiewechsel der Fed beendet eine lange geldpolitische Tradition, die sich alle wichtigen Notenbanken auf die Fahnen geschrieben haben. Seit den 1980er Jahren stand die Bekämpfung der Inflation im Mittelpunkt. Die Währungshüter haben sich in der Folge das Ziel gegeben, maximal zwei Prozent Inflation zu erlauben. Das war eine vernünftige Marke in einer Zeit, wo die jährlichen Teuerungsraten bei acht, zehn oder mehr Prozent lagen. Sobald die Preise sich der Zwei-Prozent-Marke gefährlich näherten, erhöhten die Notenbanken den Leitzins. So erreichten sie über 20 Jahre lang Preisstabilität. Doch in den Jahren nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise verkehrte sich die Welt: Die Inflationsraten fielen weit unter zwei Prozent, obwohl die Wirtschaft boomte. Die Notenbanken verfehlen seitdem ihr Ziel, was an ihrer Glaubwürdigkeit zehrt.

Die Fed gibt sich deshalb für die Zukunft mehr Flexibilität. Künftig möchte man eine Durchschnittsinflation von zwei Prozent erreichen - die Marke stellt damit keine Obergrenze mehr dar. Was das bedeuten könnte, zeigt folgendes Gedankenspiel: Wenn die Fed zehn Jahre ihr Inflationsziel von zwei Prozent nicht erreicht, dann kann sie auch zehn Jahre lang Inflationsraten von über zwei Prozent akzeptieren, ohne dabei die geldpolitischen Zügel anzuziehen. "Wir binden uns bei der Definition der Durchschnittsinflation nicht an eine mathematische Formel", sagte Powell. Man wolle das "flexibel" handhaben.

Sparer könnten künftig noch mehr leiden als heute schon

Die Entscheidung der Fed legt nahe, dass die Leitzinsen noch lange Zeit bei null Prozent liegen könnten, selbst wenn die Inflationsraten stark ansteigen sollten. Die Notenbank lässt damit bewusst den Kaufkraftverlust des Geldes zu. Sparer dürften in diesem Fall noch mehr leiden als heute. Die Profiteure wären wie schon in den letzten Jahren die Aktionäre und Vermögensbesitzer. Nach der Rede Powells stiegen die Aktienmärkte in den USA auf neue Rekordnotierungen.

Die Federal Reserve steht wie auch die anderen Notenbanken in den Industriestaaten vor einem Dilemma: Sie haben ihre lockere Geldpolitik des vergangenen Jahrzehnts damit gerechtfertigt, eine Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen, was sie allerdings nicht schafften. Gleichzeitig wissen sie: Sollten die Preise aber irgendwann einmal stark steigen, müssten sie eigentlich den Geldhahn zudrehen.

Doch eine solche geldpolitische Wende hätte gravierende Konsequenzen: Die USA, die EU-Staaten und Japan brauchen niedrige Leitzinsen, um ihre Haushaltsdefizite zu finanzieren. Höhere Zinsen bei der staatlichen Schuldenaufnahme könnte manches Land in die Knie zwingen. Auch Unternehmen, die sich seit Jahren rekordgünstig an den Börsen refinanzieren, kämen in die Bredouille, ganz zu schweigen von Verwerfungen an den Finanzmärkten, die nach einer Zinswende zu erwarten wären. Die Fed hat darauf jetzt reagiert - auch bei der EZB hat die Debatte über eine neue Strategie begonnen.

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