Architektur:Hecke der Hoffnung

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Quasi Gartencenter: Der "Kö-Bogen II" mit seiner Hülle aus Hainbuchen.

(Foto: HGEsch Photography)

Über grüne Stadtarchitektur wird viel geredet. Düsseldorf ist einen Schritt weiter, dort trägt in der City ein neuer Gebäudekomplex jetzt ein üppiges Blätterkleid .

Von Gerhard Matzig

Dann geht es auf das Dach. Der an diesem Tag infernohaften Schmor-Sonne entgegen. Mitten in Düsseldorf ist es subtropisch heiß, 36 Grad. Der Reporter wünscht sich eigentlich nicht auf das heiße Blechdach eines Geschäftshauses unweit der Königsallee - sondern in einen schattigen Garten Eden. Es ist selten, dass solche Wünsche in Erfüllung gehen. Aber auf und unter dem Dach von "Kö-Bogen II" ist ja auch sonst vieles anders. Wundersamerweise klappt es also: Das Dach von Düsseldorfs neuem Geschäfts- und Bürohaus, das auch der Gastronomie Platz bietet, entworfen von Christoph Ingenhoven und soeben fertiggestellt als Fanal eines blühenden Futurismus der Architektur, ist kein Fegefeuer nahe der sengenden Sonne, sondern ein schattengrünes Glücksversprechen auf Erden.

Das Haus, das hier als Ausrufezeichen der Nachhaltigkeit vollendet wurde, ist "Europas größte Grünfassade". Eine nach außen hin insgesamt acht Kilometer lange Hainbuchenhecke, deren 30 000 Pflanzen nicht nur das Dach, sondern auch noch zwei von den vier Seitenflächen des mehr als 40 000 Quadratmeter umfassenden Komplexes einhegen und so zum vertikalen Landschaftsgarten umdeuten. Drei Gärtner kümmern sich "rund um die Uhr" um die grüne Architektur, die sich im Herbst kupferfarben verfärben dürfte. Einer sagt auf dem Dach: "Man hat einen verdammt guten Ausblick hier oben." Auch in der allergrößten Hitze fühlt man sich angenehm luftig umgrünt wie in einem Weinberg. Düsseldorf schenkt der Welt einen verdammt guten Ausblick auf eine Zukunft, in der die Stadt zum Arbeitsort von Gärtnern wird. Hoffentlich gedeiht die Hecke. Das wird man sehen.

Die Hainbuchenhecke gilt unter Gärtnern als etwas simpel

Architekten entwerfen mal mehr, mal weniger spektakuläre Räume. Aus Beton, Stahl und Glas. Selten auch aus etwas Utopie. Christoph Ingenhoven, 60 Jahre alt und gebürtiger Düsseldorfer, hat eine riesige Hecke der Hoffnung realisiert. Die gemeine Hainbuche (Carpinus betulus), die zwar oft in Hainen wächst, aber eher keine Buche ist, sondern zu den Birkengewächsen zählt, kennt man aus deutschen Einfamilienhaussteppen als unverwüstlich anspruchslose Hecke. Die Hainbuche ist ein Baum, dem man leicht das Baumsein aus- und das Strammstehen in Rechteckform als Sichtschutz einreden kann. Die Hainbuchenhecke gilt unter Gärtnern daher als etwas simpel. Und jetzt ist ausgerechnet so eine Hecke Düsseldorfs neues Wahrzeichen. Aber auch ein Zeichen für einen Paradigmenwechsel in der Architektur. So viel Punk wurde in Düsseldorf seit den "Toten Hosen" nicht mehr erfunden.

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Wie viele Laubbläser sind hier im Herbst im Einsatz? Drei Gärtner kümmern sich nonstop um die Hecke.

(Foto: © ingenhoven architects / HGEsch)

Tatsächlich ist die Simpelhecke genial. Die Stadt hat mit ihr nicht nur ein Architekturspektakel erhalten, sondern auch eine stadträumliche Reparatur erfahren. Und wie nebenbei zeigt Düsseldorf dem von München bis Hamburg eher noch unentschlossenen Deutschland, wie man eine grüne Zukunft baut. Für eine banale Hainbuchenhecke bietet dieses Projekt also ganz schön viel Utopisches. Man gratuliert zu einem Mumm, den man den Bauherren (Projektentwicklung: Centrum-Gruppe) nie und nimmer zugetraut hätte.

Wobei es an der Schadowstraße in Düsseldorf, eine der großen Einkaufsstraßen Deutschlands, ohnehin viel Staunenswertes aus der jüngeren Architekturgeschichte zu entdecken gibt. Dort, wo bis 2013 eine Hochstraße ("Tausendfüßler") das Geschehen dominierte, wurde das Geviert neu organisiert. Düsseldorfs neue Mitte Kö-Bogen II wird auch aus der Fußgängerperspektive erlebbar, weil der mehr als eine halbe Milliarde Euro teure Komplex in seinem grünen Kleid so geschickt situiert wurde, dass er sich einerseits wie eine raffinierte Erweiterung des von der Düssel durchflossenen fürstlichen Hofgartens deuten lässt. Andererseits aber werden zwei ikonische Bauten der Moderne nun auch durch diese Maßnahme ins rechte Licht gerückt.

Grüne Fassaden leisten einen Beitrag gegen den Klimawandel

Das berühmte, streng geometrisierte Dreischeibenhaus (ein Büro-Hochhaus, erbaut bis 1960, Entwurf HPP) und das kaum weniger legendäre, organisch ausformulierte Schauspielhaus (1970, Entwurf Bernhard Pfau) müssen die Nachbarschaft von Kö-Bogen II nicht fürchten. Im Gegenteil. Die ensembletaugliche Architektur, die aus einem kleinen, dreieckig geformten und sich wie unter einen bewachsenen Felsen duckenden Markt sowie aus dem mehrgeschossigen Heckenbauwerk besteht, dient den beiden Solitären als roter Teppich, der eben grün ist. Weil sich Kö-Bogen II als Fortsetzung der Hofgartenlandschaft versteht, wirkt der stadträumliche Zusammenhang nun verblüffend einleuchtend. Düsseldorf profitiert davon. Was nicht selbstverständlich ist in Zeiten, da die Pandemie als eine Art Onlinehandel-Trigger auch die herkömmliche Einkaufsarchitektur unserer Innenstädte infrage stellt. Dass das Ganze nun mitten in der Krise des Einzelhandels eröffnet wird, ist an tragischem Timing kaum zu überbieten. Umso kraftvoller muss ein solches Projekt um die Zukunft ringen. Die Hainbuche hat diese Kraft.

In aller Welt gibt es eine Konkurrenz um immer grünere, mit Pflanzen bewachsene Häuser. Das ist auch abseits der leicht hundertwasserhaften Vorstellung von weinumrankten alten Gemäuern verständlich, denn grüne Fassaden leisten einen Beitrag gegen den Klimawandel. In den Städten sind teilweise schon mehr als zwei Drittel der Flächen versiegelt, auch deshalb leiden sie unter zunehmenden Temperaturen. Zu schweigen vom Starkregen, der bevorzugt die Städte überspült. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) rechnet vor: "An Hochsommerabenden ist die City nicht selten bis zu acht Grad Celsius wärmer als das Umland und entwickelt dadurch kleinräumige Gewitter. In Köln etwa fallen im Jahresdurchschnitt knapp 30 Prozent mehr Niederschläge als in der ländlichen Umgebung."

Drinnen dröhnen aber doch die Klima-Maschinen

Aber auch im Winter geht es den Städten schlecht: "Große Industriestädte haben dann nur die Hälfte des UV-Lichts wie kleinere Orte, aber doppelt so viel Nebel. Bei ungünstiger Witterung entsteht in Ballungsgebieten die gefürchtete Smog-Glocke über der Stadt, die den Luftaustausch verhindert." Ökologen sind laut Nabu deshalb zu diesem Ergebnis gekommen: "Wenn nur fünf Prozent aller Gebäudeoberflächen begrünt würden, wäre eine entscheidende Verbesserung des Stadtklimas erreicht. Grüne Dächer und Fassaden sind also nicht nur eine Augenweide, sondern auch ein Dienst an der Umwelt."

Pflanzen reinigen und befeuchten durch Verdunstung die trockene Luft, wodurch ein Kühleffekt erzielt wird. Überdies wird ein Zuviel an Nässe im Wurzelwerk gespeichert, extreme Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen werden so gemindert. Dem Nabu zufolge fangen "dichte Blätter und Zweige als natürliche Staubfilter sogar Schadstoffe aus Abgasen auf". Im Fall der Düsseldorfer Hainbuchen rechnet das Architekturbüro vor: "Der ökologische Nutzen der Hainbuchen entspricht dem von rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen." Das Bauwerk sei deshalb eine zeitgenössische "Antwort der Städte auf den Klimawandel".

Allerdings darf man auch fragen, warum sich unter der Heckenfassade dann doch wieder die sattsam bekannte durchklimatisierte Stahlbeton-Architektur befindet. Die große Klimaanlage, die man auch auf dem Dach mitten im wundersamen Hecken-Hain entdeckt, macht aus dem Bauwerk einen Hybrid: Einerseits bepflanzt man es mit acht Kilometer Grünzeug-Goodwill, andererseits dröhnen drinnen die Klima-Maschinen. Vielleicht ist das eine ohne das andere (noch) nicht zu haben - aber man muss aufpassen, dass aus grüner Architektur durch die Hintertür nicht eine Architektur des Greenwashing wird.

Gleich gegenüber, Kö-Bogen I, wo vor einigen Jahren Daniel Libeskind einen Gebäudekomplex realisiert hat, sind die Fassaden hie und da mit Pflanzen versehen, die sich wie modische Ornamente ausnehmen. Das ist ein Paradebeispiel für eine lediglich naturaffin inszenierte Baukunst: Grün dient hier als Surrogat und Sedierung einer Gesellschaft, die sich mehr Grün wünscht, aber auch die Deko aus abgesägten Birken in der alternativen Burgerbraterei schon für Natur hält. Dagegen zeigt Kö-Bogen II von Christoph Ingenhoven, der seit Jahrzehnten ein Vorreiter nachhaltiger Architektur ist, was grünes Denken wirklich ausmacht. Hätte der Investor auch noch im Inneren mit sich reden lassen: Das Heckenhaus könnte noch viel ökologischer sein. Aber die Hecke ist dennoch ein entscheidender Schritt nach vorn. Mal abgesehen vom touristischen Mehrwert für die Selfie-Generation. Instagramtauglich ist das Gebilde am Rhein allemal. Der Punk aus dem Ratinger Hof ist jetzt grün.

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