SZ-Serie: München natürlich:Lieber Lauch als Balkonsklaven

Geranien sind so nutzlos wie Plastikblumen, sagt Katharina Heuberger. In ihre Kästen kommt nur, was Insekten erfreut.

Von Thomas Anlauf

Die dicke Erdhummel trudelt etwas unschlüssig zwischen Teufelsapfel und Berglauch, dann setzt sie sich auf den Lauch und saugt. So eine Hummel ist keine Kostverächterin, sie ist nicht auf eine besondere Pflanze spezialisiert, sondern brummt von Blüte zu Blüte über dem Balkon hoch über dem Arnulfpark. Auch eine orangefarbene Kreuzspinne hat sich hier häuslich eingerichtet und sammelt in ihrem Netz gerade eine winzige Fliege ein. Der Balkon von Katharina Heuberger ist ein kleines Biotop auf zehn Quadratmeter Fläche. Bei ihr wachsen Gelbe Skabiosen, Ästige Graslilien und eben gerade der Berglauch, der in seinem Blumenkasten in der Mittagssonne für Insekten offenbar ziemlich verlockend ist. "Hummeln kann ich häufig darauf beobachten", sagt Katharina Heuberger und lächelt.

SZ-Serie: München natürlich: Katharina Heuberger pflanzt auf ihrem Balkon ein Stück heimische Natur an.

Katharina Heuberger pflanzt auf ihrem Balkon ein Stück heimische Natur an.

(Foto: Stephan Rumpf)

Vor sieben Jahren hat sie damit begonnen, auf ihrem Balkon ein Stück heimische Natur anzupflanzen. Sie war damals bei einer Freundin zu Besuch, auf deren Balkon summten viele Wildbienen. Von denen hatte sie vorher noch nie etwas gehört. Die Journalistin war fasziniert und begann selbst, Samen in Kästen und Töpfen auszusäen. Für die Wildbienen baute sie eigene Nisthilfen an, seither beobachtet sie von ihrem Schreibtisch aus direkt hinter dem Balkon, wer alles hier vorbeifliegt. Den Berglauch besuchten bereits Honig- und Furchenbienen, Maskenbienen, Deutsche Wespen, Goldfliegen und auch Tagpfauenaugen. Dabei überlässt die Journalistin, die das Online-Magazin wildermeter.de betreibt, den Berglauch völlig sich selbst. "Schicksalskästen" nennt sie die Blumenkästen, die vorne über dem Abgrund des Südbalkons hängen und nur gelegentlich Regenwasser abbekommen.

Berglauch

Der Berglauch sei "eine Art Asket", sagt Heuberger.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Berglauch (Allium lusitanicum) ist offenbar die ideale Pflanze für Katharina Heubergers Experiment. "Die Art ist sehr trockenresistent", sagt Andreas Fleischmann. Der Biologe an der Botanischen Staatssammlung weiß, dass der Berglauch, der derzeit bei der Hobbyforscherin blüht, die einzige Unterart von Allium senescens ist, die überhaupt in Deutschland vorkommt. Tatsächlich findet sich der Berglauch mit seinen kleinen rosafarbenen Blüten noch an wenigen Stellen in München, wo es noch wertvollen Trockenrasen gibt, die erst spät im Jahr gemäht werden. "Einen sehr schönen Bestand gibt es noch auf dem winzigen Gebiet des Lochhauser Sandbergs bei Puchheim", sagt Fleischmann. Das Biotop ist im Besitz der Bayerischen Botanischen Gesellschaft, deren Vorsitzender Fleischmann ist.

Allium lusitanicum

Vorkommen: Der Berglauch wächst, wie der Name schon sagt, bis in hohe Bergregionen der Alpen. Aber gelegentlich findet man den Lauch auch noch in München, etwa im Schwarzhölzl und der Fröttmaninger Heide. Er liebt trockene und sonnige Standorte, vor etwa einhundert Jahren war er noch an der Isar am Geiselgasteig weit verbreitet.

Besonderheiten: Wegen seiner späten Blütezeit bis weit in den September ist er für viele Insekten interessant. Er ist der am spätesten blühende Lauch in Süddeutschland und gilt als echte Generalistenblume. Denn er ist auch für Insekten mit kurzem Rüssel leicht zugänglich und bietet reichlich Pollen und Nektar.

Jetzt zu Septemberbeginn können Spaziergänger den Berglauch mit Glück auch im Schwarzhölzl oder in der Fröttmaninger Heide finden. Ansonsten ist er im Stadtgebiet so gut wie ausgestorben, dabei war er einst auch an der Isar häufig zu sehen. Denn der Berglauch mit seinem langen unterirdischen Rhizom liebt sonnige Trockenhänge, Felsklippen und Steilhänge in den Bergen. Im Allgäu bei Oberstdorf kommt die eigentlich mediterrane Art sogar auf bis zu 2400 Metern Höhe vor. Aber der genügsame Lauch kann eben auch in einem Balkonkübel gedeihen.

Katharina Heuberger ist fasziniert von der Vielfalt, die sie seit einigen Jahren auf ihrem Balkon vorfindet. Vor allem Stauden hat sie angepflanzt, viele blühen bereits schon seit fünf Jahren in ihrem kleinen Reich. "Man lernt so die Pflanzen kennen", wie den Berglauch. "Der ist total zuverlässig, eine Art Asket", sagt sie. Heuberger will andere Menschen dazu ermuntern, auch mit heimischen Pflanzen zu experimentieren und möglichst auf Geranien und dergleichen zu verzichten, die bringen den Insekten nämlich rein gar nichts. Die bezeichnet Heuberger mittlerweile abfällig als "Balkonsklaven", die ganz hübsch aussehen, aber für die Natur so nutzlos seien wie Plastikblumen.

Auf ihrem Balkontisch hat die Münchnerin ein Holzkästchen mit weißen Papiertüten stehen. Blütensamen sammelt sie darin, sie sind ordentlich beschriftet, etwa "Gelbe Skabiose, langblühend, 2020" steht darauf. "Ich verschenke keine Blumensträuße mehr, weil die normalerweise total giftig sind", sagt sie. Aber die eigene Nachzucht von ihrem Balkon überreicht sie Freunden bei bestimmten Gelegenheiten gern. Damit trägt sie auch ein bisschen zur Artenvielfalt bei, fast wie Hummeln und Bienen.

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