Wechsel an der Parteispitze:Wie es mit den Linken weitergehen könnte

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Es sei "an der Zeit, etwas Neues zu beginnen": Katja Kipping und Bernd Riexinger haben die Linken acht Jahre lang geführt. (Foto: Reiner Zensen/imago)

Nach dem Rückzug der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger spricht einiges für eine weibliche Doppelspitze. Allerdings gäbe es in Berlin auch alternative Kandidaten.

Von Boris Herrmann, Berlin

Nun hat also auch die Linke ihre Führungsdebatte. In der Partei haben sie zuletzt alle miteinander über sich selbst gestaunt, dass es so lange gedauert hat. Der scheidende Parteivorsitzende Bernd Riexinger klang erleichtert, als er der SZ sagte, er werte es als Vertrauensbeweis, dass "niemand quergeschossen" habe.

Riexinger, 64, hatte am Samstagmorgen öffentlich gemacht, dass er nach acht Jahren an der Parteispitze auf dem Parteitag Ende Oktober nicht wieder kandidieren werde. Das war keine Überraschung mehr, nachdem seine Co-Vorsitzende Katja Kipping, 42, bereits am Freitag ihren Rückzug angekündigt hatte. Überraschend war, dass sich bis dahin keine Bewerber für die Nachfolge aus der Deckung wagten. Es sind nur noch zwei Monate bis zum geplanten Parteitag in Erfurt. Und falls der nicht noch wegen Corona abgesagt werden muss, hat die Linke ihr Minimalziel erreicht: sich eine langwierige Personaldiskussion zu ersparen. "Da sind wir deutlich besser dran als andere Parteien", sagte Riexinger mit Blick auf die CDU.

Linken-Spitze
:Nach Kipping zieht sich auch Riexinger zurück

Der Co-Vorsitzende werde im Oktober nicht erneut für den Posten kandidieren, erklärte er in einem Schreiben an die Partei.

Etwas Glück war aber auch dabei. Kipping und Riexinger hatten sich ursprünglich schon im März zu ihrer Zukunft äußern wollen. Dem Vernehmen nach waren die Abschiedsbriefe bereits formuliert. Dann musste der ursprünglich für Juni geplante Parteitag pandemiebedingt in den Oktober verschoben werden - und die Briefe blieben vorerst Verschlusssache. Wäre das parteipolitische Leben im März nur eine Woche später runtergefahren worden, dann hätte wohl auch die Linke seit damals ein Parteivorsitz-Casting am Hals.

Das dürfte nun im Schnelldurchlauf nachgeholt werden. Und weil es da bei der Linken viel um Proporz zwischen Ost und West sowie zwischen Pragmatikern und Parteilinken geht, ist die Sache komplex. Die Vorgabe, dass mindestens eine Frau dem Führungsduo angehören soll, wollen maßgebliche Leute im Vorstand diesmal aber sogar übererfüllen. Mit einer weiblichen Doppelspitze aus Janine Wissler, 39, der Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag, und der thüringischen Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, 42.

Beide halten sich noch bedeckt und sondieren offenbar ihre Wahlchancen. Die scheinen aber nicht schlecht zu stehen, denn Wissler ist ein rhetorisches Ausnahmetalent und an der eher nach links außen tendierenden Basis beliebt. Hennig-Wellsow genießt auch deshalb lagerübergreifend hohes Ansehen, weil sie dem thüringischen Ein-Tages-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) nach dessen Wahl mit Stimmen der AfD einen Blumenstrauß vor die Füße knallte. So was kommt gut an in einer Partei, die gleichzeitig staatstragend und radikal sein will.

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(Foto: Jens Jeske/imago)

Haben gute Chancen, die Linkspartei zu führen: Janine Wissler aus Hessen ...

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(Foto: imago)

... und Susanne Henning-Wellsow aus Thüringen.

Bernd Riexinger erweckt nicht den Eindruck, als ob er sich in die Nachfolgedebatte einmischen werde. Im Fall von Kipping nimmt aber kaum einer an, dass sie mit Anfang 40 schon in Rente geht. Ihr werden Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz und die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl nachgesagt. Ihre internen Rivalen glauben, dass sie auch bei der Wahlwerbung für Wissler und Hennig-Wellsow heimlich die Fäden zieht. Wenn man da keine Alternative anbiete, "dann laufen die durch wie durch Butter", heißt es aus dem Umfeld der traditionellen Pragmatiker.

Solche Alternativen wären der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte, 43, oder der ehemalige Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn, 45. Und vielleicht sogar Fraktionschef Dietmar Bartsch, 62, höchstpersönlich. Er ist derzeit der profilierteste aktive Politiker bei den Linken, mit einer Kandidatur für den Parteivorsitz ginge er aber ein großes Risiko ein. 2012 war er schon einmal überraschend gescheitert - gegen Bernd Riexinger. Es gilt deshalb als ausgeschlossen, dass er noch einmal antritt, wenn er nicht sicher weiß, dass er gewinnt.

Über Jan Korte, wie Höhn und Bartsch ein Pragmatiker des Ostens, heißt es, er beobachte erst einmal, wie die Situation sich entwickle. Für ihn spräche, dass er gut mit der Parteilinken Wissler kann, die beiden veröffentlichten ein gemeinsames Strategiepapier unter dem Titel "Die Kämpfe verbinden". Die Situation ist aber auch deshalb unberechenbar, weil im Hintergrund weiterhin die ehemalige Frontfrau Sahra Wagenknecht wirkt. Sie versucht, einen eher klassenkämpferischen Kandidaten in Stellung zu bringen. Das könnte der Parteivize Ali Al-Dailami sein. Ihm werden wenig Chancen eingeräumt, auch weil er wie Wissler aus Hessen kommt. Andererseits ist dem Wagenknecht-Lager bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz mit Amira Mohamed Ali schon einmal ein Coup gelungen.

Die größte Unbekannte bleibt die Pandemie. Falls der Parteitag tatsächlich noch einmal verschoben werden muss, dann würde die Linke wohl notgedrungen mit einer geschäftsführenden Parteispitze Kipping/Riexinger ins Bundestagswahljahr 2021 gehen. Und dann hätte sie plötzlich doch dasselbe Problem wie die CDU. Nun sind die Abschiedsbriefe raus.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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