Transfer zum FC Chelsea:Die Havertz-Millionen bringen Bewegung ins Geschäft

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Kai Havertz wechselt nach England - Leverkusen braucht Ersatz für ihn. (Foto: dpa)

Die Debatte um den Wechsel von Leverkusens Hochbegabung Kai Havertz überlagert sogar die Auftritte der Nationalmannschaft - bei Bayer laufen bereits Planungen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Peter Bosz weiß nicht mehr, wie oft er seine Mannschaft in diesem Jahr auf den nächsten Start eingestimmt hat: "Das ist die vierte oder fünfte Saisonvorbereitung in diesem Jahr", mutmaßte der Trainer von Bayer Leverkusen am Montag und stellte fest, dass dies in seinem fortgeschrittenen Berufsleben schon eine ziemlich fremde Erfahrung sei. Noch eigenartiger wird das Prozedere dadurch, dass er keine zwei Wochen vor dem Saisonstart lediglich einen vagen Überblick darüber hat, wen er überhaupt zu seinem Fitnessprogramm einplanen darf. Beim Auftakt am Montag kam nicht nur wegen der anstehenden Länderspiele ein übersichtlicher Kader am Trainingsplatz zusammen.

Außer seinem Lieblingsschüler Kai Havertz vermisste Bosz unter anderen den zweiten Topscorer der Vorsaison, Kevin Volland - und Bosz gibt sich keinen Illusionen hin, dass er beide im Bayer-Trikot wiedersehen wird. "Ich erwarte nicht mehr, dass Kai und Kevin zurückkommen. Es ist auch möglich, dass noch andere Spieler wechseln werden", erklärte Bosz in der ungezwungenen Art, die ihm typisch ist.

Vor ein paar Wochen vertraten die ständigen Beobachter noch die Losung, Bayer 04 habe den stärksten Kader seit den frühen Tagen des 21. Jahrhunderts beisammen, als Michael Ballack und Dimitar Berbatov, Lúcio und Zé Roberto der sogenannten Werkself angehörten. Inzwischen ist der Klub wieder in den Sog des Transfermarktes geraten, das Bild des wohlsortierten Ensembles verschwimmt. Das Bayer-Management um Rudi Völler und Simon Rolfes wickelt zurzeit einen Verhandlungstermin nach dem anderen ab, und Bosz setzt voraus, dass damit noch lange nicht Schluss ist: "Wir müssen auf jeden Fall noch Spieler dazu holen", verlangt er.

Dass Havertz den Verein verlassen würde, galt schon vor Wochen als sehr wahrscheinlich. Der 20 Jahre alte Mittelfeldspieler wird sich, wenn die Erdkugel nicht plötzlich in eine andere Richtung rotieren sollte, dem FC Chelsea anschließen; mit dem Vollzug des Wechsels ist in den nächsten Tagen zu rechnen. Der solvente englische Erstligist hatte zuletzt eine Reihe weiterer Transfers verwirklicht.

Im Falle von Havertz ist die Rede von einer Ablöse, die mit später anfallenden Bonuszahlungen wenigstens 100 Millionen Euro erreicht - so viel zu den Prognosen der Experten, dass die Corona-Krise dem sommerlichen Transfermarkt enge Grenzen setzen werde. Peter Bosz nimmt es ohne moralische Anmerkungen zur Kenntnis: "Der Markt bestimmt den Preis. Es gibt Vereine und Menschen - in diesem Fall Roman Abramowitsch -, die diese Summen zahlen können und wollen. Kai ist ja auch nicht der einzige Spieler, der zu Chelsea geht."

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:Bosz glaubt, dass Havertz "nicht mehr zurückkommt"

Der Transfer des Nationalspielers zu Chelsea steht bevor. Auch Kevin Volland könnte Leverkusen verlassen. Manchester United will Donny van de Beek von Ajax verpflichten.

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Vermutlich wird Havertz seine letzten Einsätze, in denen er formell Angestellter von Bayer 04 ist, bei der Nationalmannschaft ableisten. Mit seinem Leverkusener Teamkollegen Jonathan Tah hat er sich am Montag am Treffpunkt in Stuttgart eingefunden, und dort wird er dann Gelegenheit haben, sich mit seinen künftigen Teamkollegen Timo Werner und Antonio Rüdiger über das Leben beim FC Chelsea auszutauschen.

Dass ihn der Bundestrainer mit Blick auf den anstehenden Wechsel schonen könnte, weil eine Verletzung womöglich den Handel gefährden würde, damit ist nicht zu rechnen. Joachim Löw hat zwar für die Nations-League-Begegnungen mit Spanien und der Schweiz einen 22 Köpfe zählenden Kader zusammengerufen, es ist aber auch ein Kader, in dem zentrale Köpfe fehlen, namentlich die im Sonderurlaub befindlichen Bayern Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry. Havertz, für den sich bisher oft kein Platz fand in der ersten Elf, dürfte Gelegenheit erhalten, Eindruck zu machen.

Währenddessen muss Bosz in Leverkusen hoffen, dass die Bayer-Manager halbwegs adäquaten Ersatz beschaffen. Außer den Einnahmen für Havertz wird auch ein namhafter Betrag für Volland zu verbuchen sein, der am Dienstag seinen Medizincheck bei AS Monaco absolvieren soll. Für den 28-Jährigen, der das Angebot einer Verlängerung des bis 2021 laufenden Vertrages ausgeschlagen hatte und deshalb zum Verkauf freigegeben wurde, erhält der Klub laut kicker rund 14 Millionen Euro. Wie viel die Leverkusener reinvestieren dürfen, entscheidet letztlich aber der Gesellschafterausschuss der Bayer AG. In Erwartung der Havertz-Millionen hatte der Klub im vorigen Sommer und im Winter bereits eine Menge Geld für Spieler wie Kerem Demirbay, Nadiem Amiri, Exequiel Palacios und Edmond Tapsoba ausgegeben.

Mit Umbruch war zu rechnen bei Bayer, mit so viel Umbruch jedoch nicht. Auch Linksaußen Leon Bailey und Mittelstürmer Lucas Alario haben durch ihre Berater wissen lassen, dass sie eine Veränderung anstreben; angeblich ist auch der langjährige Linksverteidiger Wendell zum Wechsel ausersehen. Bailey allerdings wechselt vorerst nirgendwohin - er sitzt in der Quarantäne auf Jamaika fest, nachdem er die Geburtstagsfeier seines berühmten Landsmanns Usain Bolt besucht hatte. Der Sprinter ist (ausnahmsweise) positiv getestet worden: auf das Coronavirus.

Peter Bosz ist lang genug im Geschäft, um das alles nicht persönlich zu nehmen. Aber er weiß auch, dass er am Ende die Verantwortung trägt, wenn die Lücken im Team nicht geschlossen werden. "Wenn Kevin und Kai gehen, dann gehen mit ihnen mindestens 30 Tore und 30 Torvorlagen. Das sind 60 Scorerpunkte." Bayer will den Schaden fürs Erste durch Patrick Schick kompensieren: In 22 Liga-Einsätzen für Leipzig kam der Angreifer immerhin auf zehn Treffer und zwei Vorlagen. AS Rom soll wenigstens 25 Millionen Euro Ablöse für ihn erhalten.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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