Kolumne: Pipers Welt:Wie nach dem Krieg

Kolumne: Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Können die Regierungen jemals all die Schulden zurückzahlen, die sie jetzt wegen Corona aufnehmen? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtiger als es auf den ersten Blick scheint.

Von Nikolaus Piper

Manche Fragen klingen erst einmal sehr naiv. Zum Beispiel die, ob die Regierungen eigentlich jemals all die Schulden zurückzahlen können, die sie jetzt in der Corona-Krise aufnehmen. 219 Milliarden Euro sind es in diesem Jahr allein in Deutschland. Eigentlich ist die Antwort auf die Frage ganz einfach. Natürlich wird die Bundesrepublik ihre Anleihen pünktlich und zum Nennwert zurückzahlen, so wie sie es seit ihrem Bestehen getan hat. Die Anleger auf der ganzen Welt vertrauen darauf, anderenfalls würden sie wohl kaum einen Negativzins von 0,4 Prozent akzeptieren für das Recht, ihr Geld in deutschen Staatspapieren parken zu dürfen. Kein Problem also?

Vielleicht doch, wenn man die Frage etwas komplexer formuliert, nämlich so: Werden die Regierungen neue Schulden aufnehmen müssen, um den Haushalt zu finanzieren, wenn die alten Anleihen fällig werden? Und wenn ja, wie viel und zu welchen Konditionen? Und was passiert, wenn die Zinsen steigen und die Anleger wählerischer werden?

Die Probleme dahinter lassen sich sehr gut am Beispiel der Vereinigten Staaten erörtern. Die Regierung in Washington wird, um die Wirtschaft trotz Corona am Laufen zu halten, bis zum Ende des Haushaltsjahres am 30. September ein Defizit von unvorstellbaren 3,3 Billionen Dollar auflaufen lassen. Das sind 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der höchste Wert seit 1945. Bisher haben die Kapitalmärkte die riesige Summe bereitwillig finanziert. Für Zehn-Jahres-Anleihen ("Treasurys") muss der amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin einen Zins von ganzen 0,7 Prozent zahlen. Damit ist er nur geringfügig schlechter dran als sein deutscher Kollege Olaf Scholz, dem die Märkte das Geld quasi umsonst geben. Er hat die Notenbank Federal Reserve im Hintergrund, die amerikanische Anleihen auf unabsehbare Zeit in unbegrenzter Höhe aufkauft und so niedrige Zinsen garantiert. Das beunruhigt derzeit niemanden, im Gegenteil. Alle hoffen, dass so der Welt eine neue Depression erspart wird. Wahrscheinlich haben sie recht.

Aber das wird nicht immer so sein. Noch nie in der Geschichte haben Notenbanken so lange so viel Geld gedruckt wie dies Federal Reserve und Europäische Zentralbank derzeit tun. Die nach der herkömmlichen Lehre bei so viel Geld zu erwartende Inflation ist bisher ausgeblieben. Ob das so bleibt, weiß niemand, denn alle Handelnden betreten Neuland.

Konsolidierung ist schwer in einem Land, in dem die eine Hälfte die andere für Feinde hält

Auch das Wachstum der Schulden ist beispiellos. Unter Präsident Donald Trump hat die Gesamtverschuldung den Wert der gesamten Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten erreicht. Das ist eine Folge von Corona, aber auch der Tatsache, dass Trump in den guten Jahren zuvor eine große Steuersenkung auf Pump finanziert hatte. Nach einer Prognose des überparteilichen Haushaltsbüros des Kongresses (CBO) wird die Schuldenquote, also der Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt, bis Ende dieses Monats auf 98 Prozent steigen. Bis September 2021 sollen es dann 100 Prozent sein und 109 Prozent 2030. So viel Schulden hatten die USA zuletzt 1946, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals gelang es den Amerikanern dank einer schnell wachsenden Wirtschaft erstaunlich schnell, den Schuldenberg abzubauen. Bis 1970 war die Schuldenquote auf 28 Prozent gesunken. Die USA waren dabei zwar privilegiert, weil ihre Wirtschaft keine Kriegsschäden erlitten hatte. Auf der anderen Seite finanzierten sie den Marshallplan zum Wiederaufbau Westeuropas, ein komplett neues Autobahnnetz im Lande selbst und die Hochrüstung des Kalten Krieges. Trotzdem erwirtschaftete der Bundeshaushalt nach Abzug des Schuldendienstes einen Überschuss ("Primärüberschuss"). Außerdem sorgte die Notenbank Fed dafür, dass die Zinsen der Staatspapiere immer niedrig blieben.

Könnte diese Politik heute wiederholt werden? In einem Land, in dem die eine Hälfte der Bevölkerung die andere Hälfte als Feinde betrachtet? In dem der amtierende Präsident bereit ist, jede Gemeinheit zu begehen, nur um seine Wiederwahl zu sichern? Ein Präsident, der sich nicht scheut, die Notenbank massiv unter Druck zu setzen, und der den Notenbankchef Jerome Powell lange vor dem Ausbruch von Corona unflätig beschimpft hat, weil dieser die Zinsen nicht schnell genug gesenkt hatte. Trump wird, sollte er wiedergewählt werden, im Zweifel immer die Fed bedrängen, damit sie die Zinsen nicht erhöht und so die Schuldenpolitik so lange wie möglich unterstützt. Das läuft hinaus auf eine in guten wie in schlechten Zeiten immer weiter steigende Schuldenquote - und das hält selbst eine Weltmacht wie die USA nicht auf Dauer aus.

Auch ein wenig beachtetes Detail spielt eine Rolle, auf das kürzlich Adam Posen hingewiesen hat, der Präsident des Peterson Institute for International Economics. Mit dem größten Teil der Schulden finanziert der amerikanische Staat keine Investitionen, sondern Transferleistungen. Kalkuliert man dies ein und sieht die marode Infrastruktur der USA, dann wird klar, dass die Finanzlücke des Staates noch viel größer ist als offiziell ausgewiesen. Den Haushalt unter diesen Bedingungen in Ordnung zu bringen, würde eine Kraftanstrengung des ganzen Landes erfordern.

Die Frage nach der Rückzahlung der Schulden ist gar nicht so naiv, wie sie auf den ersten Blick erscheint. In Deutschland ist die Lage übrigens deutlich weniger dramatisch als in den USA, und das nicht nur, weil Angela Merkel nicht Donald Trump ist. Die Schuldenquote soll nächstes Jahr von 75,6 auf 71,8 Prozent sinken. Ursache ist die Politik der schwarzen Null von Bund und Ländern, die vor der Krise zu einem spürbaren Schuldenabbau geführt hatte. Wer deren Sinn bezweifelt, sollte nach Amerika schauen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: