Fußball bei 1860 München:Die Rückkehr der Löwinnen

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Von Fans zu Spielerinnen: Gefunden hat sich die erste Riege von Sechzigs neuen Fußballerinnen schon, nun fehlt noch ein Trainerteam. (Foto: Sarah Pechtol/oh)

Das gab es zuletzt vor fast 40 Jahren: Erstmals seit Ewigkeiten können beim TSV 1860 auch Frauen wieder Fußball spielen. Über eine Abteilungsgründung mit Erinnerungen an aufregende Anfangsjahre.

Von Anna Dreher

Veronika Seemann wusste keine Antwort auf die Frage. Immer wieder war sie ihr gestellt worden, und immer wieder hatte auch sie selbst sich gefragt: Warum hat der TSV 1860 München eigentlich keine Fußballteams für Frauen? Profis in der dritten Liga, Junioren, dritte und vierte Männermannschaften, mehrere Altherren-Teams, Futsal, Blindenfußball - aber Frauen? Dabei fanden alle, mit denen Seemann in ihrem stark von Sechzig geprägten Kreis darüber sprach, die Idee gut. Und auch bei der Abteilungsversammlung vergangenes Jahr wurde das Thema ausgiebig diskutiert. Also wollte sie mit Freundinnen etwas daran ändern. "Und dann", sagt Seemann, "hatten wir einfach auch etwas Glück und haben den richtigen Zeitpunkt erwischt."

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Seemann ist nicht die erste, die in den vergangenen Jahren bei der Fußballabteilung des TSV angeklopft hat, um nachzuhaken, was diese von Frauenfußball bei Sechzig eigentlich hält. Aber in ihr, Silke Dehling und Hannah Conrad hat sich nun ein Trio gefunden, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, statt in erster Linie für den Lieblingsverein kicken zu wollen. Und so steht seit dem 17. August fest: Künftig können auch Frauen bei 1860 München Fußball spielen. Am 24. August hat das erste offizielle Training stattgefunden. Nach sehr langer Zeit wieder.

Fußballerinnen bei 1860 gab es nämlich schon, bevor eine jahrzehntelange Pause eintrat. Die Angaben zu den Anfängen sind unterschiedlich. Jedenfalls gingen wohl Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger bereits Spielerinnen für den TSV auf den Platz. Der Deutsche Fußball-Bund hatte 1955 Frauenfußball-Abteilungen untersagt. Erst 1970 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Doch auch in dieser Phase ließen sich viele Frauen diesen Sport deswegen noch lange nicht nehmen, auch in München nicht. Und wohl 1971 wurde die Sparte Frauenfußball in Giesing dann gegründet.

"Heimspiele haben wir immer auf dem Trainingsgelände ausgetragen, meistens auf Platz fünf, ganz selten dürften wir vorne auf Platz zwei spielen", erzählt Claudia Michl. Als Zwölfjährige wurde sie im Juni 1975 Vereinsmitglied, damals noch als Claudia Henner. Mit einer Sondergenehmigung und im Spielerpass um ein Jahr gealtert, spielte sie mit 13 bzw. 14 Jahren bei den Frauen mit. "Von vielen Leuten wurden wir belächelt, das war damals ja noch nicht akzeptiert in der Gesellschaft", sagt Michl. "Aber wenn wir zu Auswärtsspielen gefahren sind, im Vereinsbus und in voller Montur, da war schon eine große Aufmerksamkeit da. Die Partien wurden Tage vorher angekündigt."

Derby im Grünwalder: Die ersten Duelle zwischen den Frauen des TSV 1860 und des FC Bayern fanden 1971 statt. Sechzig verlor meist deutlich ... (Foto: WEREK/Imago)

Weil es noch nicht viele Teams gab, mussten Sechzigs Fußballerinnen teils weit fahren. Für ein Freundschaftsspiel zum Beispiel ging es zum Bonner SC, damals laut Michl "eine Macht" - wie auch die ärgsten Konkurrentinnen vom FC Bayern. In einem Text des Vereinsmuseums anlässlich des diesjährigen Jubiläums der Frauenfußballabteilung des FC Bayern werden die frühen Derbys beschrieben. Im Mai 1971 startete demnach die inoffizielle Punkterunde um die Meisterschaft im Großraum München.

Die Premiere zwischen den Spielerinnen der Roten gegen die der Blauen endete 6:0. Das zweite Derby fand vor dem Bundesligaspiel der FCB-Männer gegen Borussia Mönchengladbach statt - vor 40 000 Zuschauern. Sechzig verlor erneut deutlich, 0:9. "Nur ein einziges Mal haben wir ein Unentschieden geschafft", sagt Michl, die mehr als 100 Spiele für Sechzig absolvierte. "Das haben wir gefeiert, als wären wir Weltmeisterinnen geworden." Zwei Mal, erinnert sie sich, habe es auch Pokalspiele im Grünwalder Stadion gegeben.

In Erich Riedl, von 1974 bis 1981 Vereinspräsident, hatten die Fußballerinnen einen Unterstützer. Als dessen Amtszeit endete und der Klub mit Finanzproblemen zu kämpfen hatte - was 1982 den Lizenzentzug und den Abstieg der Männer in die Bayernliga zur Folge hatte - wirkte sich das auch auf das Frauen-Team aus. Die Saison 1982/1983 markiert das vorläufige Ende. "Ich kann mich an keine Erklärung erinnern. Es hieß einfach: Der Frauenfußball wird aufgelöst", sagt Michl. "Dabei hätte man ja einfach unseren mit Ausrüstung und wenigen Fahrtkosten ohnehin geringen Etat runterschrauben können."

... das Zuschauerinteresse war jedenfalls auch früher schon vorhanden. Wie es 1860 wohl künftig ergeht? (Foto: WEREK/Imago)

Und während die Fußballerinnen des FC Bayern inzwischen neben Doublesieger VfL Wolfsburg führend in der Bundesliga sind und vor wenigen Tagen in der Champions League im Viertelfinale nur knapp am späteren Titelgewinner Olympique Lyon scheiterten, fängt beim TSV 1860 nun erst einmal neun Klassen weiter unten die Aufbauarbeit an.

Seemann kam im Herbst 2019 in jener Zeit auf Fußball-Abteilungsleiter Roman Beer zu, als dieser sich ohnehin um neue Trainingsörtlichkeiten kümmern musste. An verfügbaren Plätzen waren in der Vergangenheit schon Versuche gescheitert, den Frauenfußball bei Sechzig wiederzubeleben. "Viele", sagt Beer, "sind auch vor dem Organisationsaufwand zurückgeschreckt. Und vor der Herausforderung, sich als Sparte selbst zu finanzieren." Das ist die dritte Bedingung, die erfüllt werden muss. Als das Platzproblem von 1860 keines mehr war - die Frauen können in Freiham und der städtischen Sportanlage an der St.-Martin-Straße in Obergiesing trainieren - war der Weg frei für Seemann, Dehling und Conrad.

"Wir hatten sofort 25 Fußballerinnen zusammen. Ich war beeindruckt, wie schnell das ging", sagt Seemann. Nach der Pressemitteilung kamen viele Anfragen hinzu: "Sogar von Mädels, die höherklassig gespielt haben, aber eben gerne zu Sechzig wollen." Das Ziel ist es nun vorerst, eine ambitionierte Mannschaft und eine im Breitensport anzubieten. Im Herbst 2021 soll dann mindestens ein Team für den Ligabetrieb des Bayerischen Fußballverbands gemeldet werden. Jugendarbeit steht noch nicht auf dem Plan. Erst mal muss ohnehin ein Trainer oder eine Trainerin gefunden werden. "Wir treffen uns fast jeden Abend mit Kandidaten, das hat oberste Priorität", sagt Dehling. "Danach schauen wir, wohin es geht. Wir sagen nicht, wir wollen unbedingt in die Bundesliga. Das bringt nichts."

Bei der ersten Einheit neulich war der Platz in Freiham kurzfristig gesperrt worden. Aber dann sind die Fußballerinnen eben zusammen joggen gegangen. In Trikots des TSV 1860 München.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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