Rechtsextremismus:Mit der Dienstwaffe gegen "Gesindel"

Mutmaßliche rechte Terrorzelle - Festgenommene beim BGH

Ein Mitglied der rechten "Gruppe S." wird im Februar dem Karlsruher Haftrichter vorgeführt. In der Folge wird auch gegen Polizisten ermittelt.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Jahrelang zeigte ein Polizeimitarbeiter in NRW offen seine rechtsextreme Gesinnung. Wieso konnte er dennoch seinen Dienst verrichten?

Von Lena Kampf

Ein Hakenkreuz im Sonnenuntergang, SS-Runen und Totenköpfe. Wenn Thorsten W. diese Bilder in die Chatgruppe stellte, kommentierte sein Gesprächspartner begeistert: Dies seien schöne Fotos oder seine "Lieblingsrunen". Die Männer begrüßten sich mit "Heil" oder Hakenkreuz-Emojis, und sie tauschten sich darüber aus, wo man "sicher und ohne beobachtet zu werden" Bettwäsche mit Nazisymbolen bestellen könne.

Untereinander machten die Männer keinen Hehl aus ihrer Gesinnung. Sie waren Freunde, aber auch Kollegen: Beide arbeiteten im Polizeipräsidium Hamm. Thorsten W. als Beamter in der Verwaltung, der andere als Polizeihauptkommissar. Teilweise war auch noch ein dritter Kollege in ihren Chats dabei, ein Angestellter, ebenso wie W., im Verkehrskommissariat. Über Jahre schickten sie sich rassistische Sprüche und NS-Propaganda. Sie witzelten beiläufig darüber, Ausländer erschießen zu wollen.

Thorsten W. sitzt seit Februar in Untersuchungshaft. Nicht etwa, weil seine Einstellung im Polizeipräsidium Hamm konsequent verfolgt wurde, sondern weil die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe im Zuge der Ermittlungen gegen die sogenannte "Gruppe S." auf den Beamten aufmerksam geworden war. Die mutmaßlich rechtsterroristische Vereinigung soll Anschläge auf Politiker und Moscheen geplant haben, Thorsten W. gilt als Unterstützer. Er soll zugesagt haben, der Gruppe finanziell helfen zu wollen. Außerdem soll er bei einem Treffen der Gruppe eine Pistole bestellt haben. Sein Verteidiger wollte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern. Zwar soll W. nach dem Treffen geäußert haben, die Gruppe S. sei ihm "zu heftig", aber an seiner Gesinnung gibt es nach Ansicht der Ermittler keinen Zweifel. Wieso konnte er dennoch im Polizeipräsidium Hamm jahrelang seinen Dienst verrichten?

Recherchen von SZ und WDR zeigen, dass Thorsten W. seine Gesinnung auch am Arbeitsplatz deutlich zeigte. Er nutzte seine Position sogar, um dienstliche Erkenntnisse über die Reichsbürger-Szene zu sammeln, der er selbst angehörte. So schickte er ein vertrauliches Lagebild der Polizei zu den Reichsbürgern an seine private E-Mail-Adresse. Auf seinem Handy entdeckten die Ermittler die Chatgruppe, in der sich die drei Kollegen mehrere Tausend Nachrichten geschickt haben sollen.

Lange wurden Rechtsextremisten bei Polizei und Bundeswehr von Behördenleitern als Einzelfälle abgetan. Doch die Festnahme von Thorsten W. hatte zumindest in Nordrhein-Westfalen politische Konsequenzen. Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte im Februar an, stärker nach Verfassungsfeinden in den eigenen Reihen zu suchen und setzte in allen Präsidien Extremismusbeauftragte ein.

Innenministerium spricht von Versäumnis der Vorgesetzten

Thorsten W. hatte in seiner Dienststelle, der Polizeiwache Bockum-Hövel, durchaus für Irritation gesorgt. Ein Kollege bemerkte Aufkleber der Reichsbürgerbewegung an seinem Auto sowie einen Pulli von Thor Steinar, einer von Neonazis als Erkennungsmerkmal genutzten Marke. Es gab Gespräche mit den Vorgesetzten. Einen Flyer unter seiner Windschutzscheibe, auf dem der Bundeskanzlerin Angela Merkel verbrecherisches Handeln angelastet wurde, rechtfertigte er mit seinem "Unmut über die politische Situation". Disziplinarisch wurde nichts gegen ihn unternommen, er konnte auch seine Waffenbesitzkarte behalten, die seit 2003 immer wieder verlängert wurde.

Sein Büro in der Polizeiwache Bockum-Hövel wurde erst durchsucht, als W. bereits unter Terrorverdacht stand. Nach Informationen von SZ und WDR fanden die Ermittler dort Stapel der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Zeitung Unabhängige Nachrichten. Auf dem Schreibtisch stand eine Tasse der rechten Zeitung Junge Freiheit, unter der Schreibtischauflage fanden sie einen Thor-Steinar-Katalog. Thorsten W. teilte sich das Büro mit einer anderen Person.

Im Fall W. "haben Vorgesetzte versäumt, eindeutige Anhaltspunkte für die rechtsextreme Gesinnung ausreichend zu würdigen", sagt ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums auf Anfrage. Lange vor den Terror-Ermittlungen hätte ein Disziplinarverfahren und ein sogenanntes "Prüfverfahren rechts" eingeleitet werden müssen.

Gegen Thorsten W. und seine Kollegen aus der rechtsextremen Chatgruppe ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Dortmund wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Alle sind vom Dienst suspendiert. Durch die Ermittlungen ist auch bekannt, was W. etwa auf Facebook postete: eine Aufforderung an Polizisten, ihre Dienstwaffe gegen "Gesindel" einzusetzen oder die Aussage, man müsse Terroranschläge verüben - mit möglichst vielen Toten.

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