Profil:Walid Zidi

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(Foto: Fetih Belaid / AFP)

Kulturminister von Tunesien - und blind.

Von Moritz Baumstieger

Für Walid Zidi ist es nichts Neues, der Erste zu sein, auch wenn der Weg zum Ziel lang und kurvenreich ist. Um seine Karriere zu starten, musste Zidi früh das Elternhaus im armen Nordwesten Tunesiens verlassen, wo er 1986 geboren wurde und vor seinem zweiten Geburtstag durch eine Krankheit erblindete. Er besuchte erst eine Schule für Sehbehinderte im Osten von Tunis, dann ein Internat in der Touristenstadt Sousse, bevor er an eine Universität in einer Kleinstadt nahe der Kapitale ging. Als er dort 2019 die Doktorwürde erlangte, war er der erste Sehbehinderte, der eine Promotion an einer Universität in Tunesien geschafft hatte. Andere tunesische Blinde mit einem Dr. vor dem Namen haben ihre Titel im Ausland erlangt, etwa in Frankreich mit Unterstützung spezieller Förderprogramme.

Keine zwei Jahre später ist Zidi wieder der Erste: Vergangene Woche stand er strahlend im Kulturministerium am Rande der Altstadt von Tunis, in den Armen imposante Gestecke aus Lilien. Seine Vorgängerin hatte einen Empfang zur Amtsübergabe organisiert. Mit nur 34 Jahren ist Zidi nun Minister, zuständig für die Pflege von Literatur und Musik, Malerei, Schauspiel und Theater. Zudem ist er Herr über die oft heruntergekommenen Bibliotheken und Kulturhäuser, die einst auch in der Provinz erbaut wurden, um Bildung und Freizeitangebote dorthin zu bringen, wo sich sonst nur die Religiösen der Jugend annahmen.

Sein neuer Chef, Hichem Mechichi, ist bereits der dritte Premierminister seit der Wahl im Oktober 2019. Das Parlament ist zersplittert, die Mehrheiten sind flüchtig - eine Kabinettsliste zusammenzustellen, der die Abgeordneten zustimmen, ist da eine Herausforderung. Mechichi gab seinen Vorschlag am 24. August um 23.58 Uhr ab, zwei Minuten, bevor die verfassungsgemäße Frist abgelaufen wäre, und hatte in der Hektik anscheinend etwas Wichtiges vergessen: Seinen Kandidaten für das Kulturministerium zu fragen, ob der den Job überhaupt will.

Zidi reagierte in den sozialen Medien erst einmal abweisend, der designierte Premier gab sich daraufhin beleidigt. Als er bekannt gab, Zidi zu ersetzen, überreichte der jedoch gerade dem Staatschef Kaïs Saïed einen Koran in Blindenschrift; Zidi hatte sich doch noch angefreundet mit dem überraschenden Angebot. Präsident Saïed, der gerne in akkuratem Hocharabisch zur Nation spricht und nicht wie die meisten anderen Politiker in einem von französischen Lehnwörtern durchsetzten Dialekt, schien Gefallen gefunden zu haben an dem jungen Dozenten, der bislang Übersetzung und Rhetorik lehrte. Saïed wirkte auf seinen eingeschnappten Premier ein, und Zidi wurde wenige Tage später von einem Parlamentsdiener zum Amtseid geführt.

Welches Kunstverständnis der neue Minister mitbringt, darüber wissen die Tunesier wenig, Zidi hat kaum darüber gesprochen. Mit Literatur beschäftigt er sich beruflich, privat spielt er passioniert die Oud, die orientalische Laute. Welches Verhältnis er aber zu visuelleren Künsten habe, verunsichere sie, sagten Künstler aus Theater und Film der SZ: Das Ministerium sei wichtiger Geldgeber vieler Projekte, die Geschmäcker der Amtsinhaber hätten in der Vergangenheit teils mitbestimmt, was gefördert wurde. Ansonsten geben sich lokale Medien stolz, dass ihr Land wieder einmal ein Zeichen von Inklusion und Gleichstellung gesetzt hat.

Sie verweisen auf die guten Ergebnisse Tunesiens bei den Paralympics, aber auch auf die Politik: Im letzten Kabinett führte ein Mitglied der kleinen jüdischen Minderheit das Tourismusressort, die Quotenregeln zur Gleichstellung von Mann und Frau in den Parlamenten sind in der Region einzigartig. Auch wenn es im Jahr neun nach der Revolution noch immer an vielen Ecken und Enden hakt im Geburtsland des Arabischen Frühlings: Wie sein neuer Kulturminister ist auch das kleine Tunesien gerne einmal Nummer eins.

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