Nord Stream 2:Stoppen oder nicht?

Nord Stream 2: Rohre für die Pipeline lagern in Sassnitz auf Rügen

Noch ist die Nord-Stream-2-Pipeline nicht fertig, wie diese Rohre in Sassnitz auf Rügen zeigen. Der Streit um einen Baustopp wird immer lauter.

(Foto: imago images / BildFunkMV)

Die Debatte um die geplante Ostsee-Pipeline nimmt immer mehr an Fahrt auf, die Bundeskanzlerin schließt nichts mehr aus. Doch Deutschlands führende Politiker sind sich alles andere als einig. Ein Überblick.

Von Thomas Kirchner

Nord Stream 2 zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten der deutschen Außenpolitik. Diese will Werten folgen, jongliert aber gleichzeitig mit den Interessen vieler Beteiligter: deutscher Konzerne, Russlands, der USA, europäischer und vor allem osteuropäischen Partner.

Die Diskussion über das Projekt war in Deutschland schon immer bunt, auch innerhalb der Parteien. Das gilt vor allem für die beiden Koalitionspartner. Nur in der Opposition finden sich mehr oder weniger einheitliche Positionen. Der Giftgasanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny hat die Debatte nun verschärft - und leicht verschoben. Ein Überblick.

Am interessantesten ist der offensichtliche Meinungswandel von Außenminister Heiko Maas (SPD). Bei einem Gespräch mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte er jüngst noch die Drohungen der USA gegen das Projekt zurückgewiesen. Nord Stream 2 sei ein "europäisches Projekt", kein Staat habe das Recht, "der EU ihre Energiepolitik zu diktieren".

Nun plädiert er - diplomatisch formuliert, aber klar in der Botschaft - für ein gegebenenfalls härteres Auftreten gegenüber Moskau und verknüpft den Fall Nawalny mit der Vollendung der Gasröhre. "Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern."

In seiner Partei ist das keineswegs Konsens. Damit ist nicht nur Altkanzler Gerhard Schröder gemeint, einer der vehementesten Verteidiger von Nord Stream 2, für den als Aufsichtsratschef des russischen Energiekonzerns Rosneft persönliche wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen. Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans lässt keinen Zweifel daran, wie wenig er von einem Baustopp hält.

Sicher müsse über Sanktionen wegen Nawalny diskutiert werden, sagte er am Sonntagabend. Sie müssten aber zielgerichtet sein. Nord Stream 2 sei ein Infrastrukturprojekt, das zu 90 Prozent fertig sei und den eigenen Versorgungsoptionen diene.

Ähnlich sehen das viele andere führende Genossen, vor allem in Ostdeutschland, etwa Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD ist die Nord-Stream-2-Partei. Als Motiv mischen sich eine traditionelle Zuwendung zu Russland mit der durch Donald Trump noch verstärkten Amerika-Skepsis.

Aber auch beim Koalitionspartner CDU/CSU ist das Bild nicht eindeutig. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht noch zu dem Projekt. Nicht zuletzt sind auch die Interessen ihres Wahlkreises in Mecklenburg-Vorpommern berührt, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft die geplante Pipeline enden soll.

Zunächst hatte Merkel gesagt, dass der Giftgasanschlag nicht mit Nord Stream 2 verbunden werden solle. Es handle sich im Kern um ein wirtschaftliches Projekt. Allerdings ist die CDU-Politikerin auch dafür bekannt, sich von der öffentlichen Meinung durchaus beeindrucken zu lassen. Insofern könnte sie ihre Haltung ändern, sollte der Ruf nach einem Ende der Gasröhre lauter und einheitlicher werden. Passend dazu sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag, die Kanzlerin halte es für falsch, etwas auszuschließen.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen ist offen für Sanktionen gegen Russland auch bei der Gaspipeline Nord Stream 2. Das sei "kein Herzensprojekt" für sie.

Ähnlich äußern sich zwei der Kandidaten für Kramp-Karrenbauers Nachfolge im CDU-Vorsitz. Am eindeutigsten plädiert Norbert Röttgen für einen Stopp der Pipeline. "Ich halte Nord Stream 2 für falsch", twitterte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag nach Bekanntwerden der Vergiftung Nawalnys und wiederholte das am Sonntag in der ARD-Sendung "Anne Will". Mit Putin müsse man in einer Sprache sprechen, die er verstehe. "Die Sprache, die er versteht, ist die Sprache des Geldes, des Gases und der Macht. Und Nord Stream ist alles zusammen", sagte Röttgen.

Sein Konkurrent Friedrich Merz fordert zumindest einen zweijährigen Baustopp für Nord Stream 2. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hingegen, der dritte Kandidat für den CDU-Vorsitz, warnt vor einer schnellen Entscheidung über Nord Stream 2 und einem deutschen "Alleinweg". Russland müsse den Vorgang aufklären, danach brauche es eine "europäische Antwort". Gerhard Schröder wird das freuen, er hat Laschet schon zweimal als kanzlertauglich gelobt.

Laschets sächsischer Kollege Michael Kretschmer bremst ebenfalls. Auch im Kalten Krieg mit der Sowjetunion als politischem Gegner habe es Gaslieferungen aus dem Osten gegeben. Es sei völlig falsch, nun die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland zu trennen. Kretschmer ist wegen eines Treffens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im vergangenen Jahr kritisiert worden.

Bei den Grünen ist die Lage übersichtlicher. Sie sehen sich als Verteidiger demokratischer Werte und fordern einen Ausstieg oder zumindest eine Überprüfung von Nord Stream 2. Parteichefin Annalena Baerbock etwa sagte, für den Stopp des Projekts würde sie auch mögliche Entschädigungszahlungen an beteiligte Firmen in Kauf nehmen.

Auch die FDP sieht Nord Stream 2 zunehmend kritisch. Ein "einfaches Weiter so" dürfe es nicht geben, sagt der Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Bis der Fall aufgeklärt sei, müsse die Bautätigkeit ruhen. Ähnlich hat sich Parteichef Christian Lindner geäußert.

Nur vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki ist anderes zu hören. Er sei "skeptisch, dass wir in der jetzigen Phase unserer Erkenntnisse ein Projekt dieser Größenordnung in Frage stellen sollten". Der Anschlag auf Nawalny könne auch ohne Involvierung des Kreml geschehen sein.

Die Linke zeigt sich Russland-treu und verteidigt Nord Stream 2. Sevim Dağdelen, Obfrau der Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, übte scharfe Kritik an der Warnung von Außenminister Maas. Es sei "erschreckend, wie willfährig Herr Maas die Forderung Trumps nach einem Stopp von Nord Stream 2 vorantreibt". Energisch verteidigt wird das Pipeline-Projekt auch noch immer von der AfD.

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