Glücksspiel im Internet:Bundesländer weichen Regeln für Online-Zockerbuden auf

Glücksspiele im Internet

Künftig sollen neue Regeln gelten. Aber die stehen technisch kaum bereit, und niemand ist zentral dafür zuständig, die Anbieter zu überprüfen.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Glücksspiele im Internet sollen von Sommer 2021 an erlaubt sein - unter Auflagen. Bislang sind sie weitgehend verboten. Jetzt weichen die zuständigen Bundesländer vorab ihre Regeln auf.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Es waren schwierige Verhandlungen, sie dauerten Jahre, im Frühjahr machte sich Erleichterung breit: Die Bundesländer hatten einen Kompromiss gefunden, wie sie Glücksspiel regulieren wollen. Ein neues Gesetz sollte insbesondere Online-Sportwetten und Casinospiele im Netz von Sommer 2021 an neu regeln. Digitale Pokerrunden und virtuelle Automatenspiele, bislang außerhalb von Schleswig-Holstein streng verboten, sollen dann erstmals bundesweit unter Auflagen erlaubt sein. Aber selbst nach dem im März beschlossenen Kompromiss ist es den Ländern kaum gelungen, eine gemeinsame Linie zu finden.

In der Zwischenzeit waren mehrere Landesregierungen der Meinung, die bisherigen Regeln schon für die Zeit des Übergangs aufweichen zu müssen. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und NDR haben sie sich durchgesetzt. In dieser Woche einigten sich die Länder teils widerwillig auf einen Beschlussvorschlag, den vier der 16 Länder im Juli gemeinsam vorgelegt hatten. Als letztes Bundesland unterzeichnete das Saarland die Regelung, allerdings versehen mit einer Protokollnotiz. Darin heißt es unter anderem, dass "die Auswirkungen auf den Jugend- und Spielerschutz beobachtet werden sollen".

Der eigentliche Beschluss dagegen klingt in Teilen, als hätte ihn die Glücksspielindustrie diktiert. Der Staat solle nur gegen die Anbieter vorgehen, bei die absehbar sich auch der "voraussichtlichen zukünftigen Regulierung entziehen wollen", heißt es etwa. Wer sich heute schon an die für Sommer 2021 definierten Auflagen halte, so formulieren die Länder, dürfe dagegen Online-Casinospiele anbieten - und müsse keine Konsequenzen mehr fürchten. Die neue bundesweit zuständige Aufsichtsbehörde gibt es allerdings noch nicht. Wer den Markt in der Zwischenzeit überwachen soll, ist unklar.

Auch auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage die Chefs der Staats- und Senatskanzleien diesen weitreichenden Beschluss an den Landesparlamenten vorbei fassen, ist nicht ersichtlich. Die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens - sie hatte den Beschluss wesentlich vorangetrieben - verweist auf den Ermessensspielraum bei der Anwendung geltender Gesetze. Es sei ein deutlicher Unterschied zu erkennen zwischen Anbietern, die sich jetzt schon den neuen Regeln unterwerfen wollen und solchen, die es nicht tun. Außerdem sei es zwingend geboten, "zukünftige Rechtsänderungen in die Ermessensausübung einzustellen", erklärt ein Sprecher. Wenn sich also morgen ein Gesetz ändert, gilt das alte schon heute nicht mehr für alle?

Die Regeln für Spielhallen, Wettbüros und deren Pendants im Netz bestimmen in Deutschland weitgehend die Bundesländer. Den neuen Glücksspielstaatsvertrag hatten die Ministerpräsidenten Anfang März verabschiedet. Derzeit liegt das Regelwerk zur Prüfung bei der EU-Kommission. Sobald Brüssel sein Einverständnis gibt, müssen die Landesparlamente den Vertrag noch ratifizieren. Ob das in allen 16 Ländern gelingt, bleibt fraglich: Im Saarland etwa kritisiert die an der Regierung beteiligte SPD das Gesetz. In Sachsen-Anhalt drohen die Regierungsparteien SPD und Grüne mit einem Nein zum neuen Vertrag. Damit steht plötzlich auch die Ansiedelung der neuen Aufsichtsbehörde auf der Kippe, die in Halle sitzen soll. Auch in anderen Ländern gibt es noch Kritik, genau wie vom Fachverband Glücksspielsucht, von Industrieverbänden und von Datenschützern. Damit der Vertrag am Ende in Kraft treten kann, müssen mindestens 13 Landesparlamente zustimmen.

Um den erreichten Konsens nicht gleich wieder zu gefährden, haben jetzt auch die Skeptiker den Übergangsregeln zugestimmt. Den Vorschlag hatten ursprünglich die Chefs der Staats- und Senatskanzleien aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin erarbeitet und im Juli ihren Kollegen geschickt. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) war nicht begeistert. "Die kritische Grundhaltung des Innensenators teilt die Senatskanzlei ausdrücklich", sagt ein Regierungssprecher. Man habe dennoch zugestimmt, denn andernfalls bestehe die Gefahr, dass die "Einigung zum neuen Glücksspielstaatsvertrag aufgelöst wird" und es absehbar keine Regulierung im Glücksspielbereich gebe. Ohne diese gäbe es noch nicht mal auf dem Papier Hindernisse für Anbieter.

Hamburg hatte Strafanzeige gegen die Anbieter Bwin, Tipico und Bet 3000 gestellt

Die Entscheidung der Länder ist ein Rückschlag für die Glücksspiel-Aufsichtsbehörden, die zuletzt verstärkt gegen illegale Angebote vorgegangen waren. So hatte Niedersachsen intensiver als früher versucht, Zahlungen an illegale Anbieter zu unterbinden. Das Saarland war gegen Werbung für illegales Glücksspiel vorgegangen, und Hamburg hatte Strafanzeige gegen die Anbieter Bwin, Tipico und Bet 3000 gestellt, wegen deren illegaler Casino-Angebote. Mittlerweile ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, wie die Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigte. Gewerbsmäßiges illegales Glücksspiel wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Die drei im europäischen Ausland lizenzierten Anbieter berufen sich auf die EU-Grundfreiheiten und teilen regelmäßig mit, ihre Angebote seien legal.

Mit der jetzt beschlossenen Übergangsregelung haben die Anbieter nicht mehr viel zu befürchten, solange sie sich vorab an die von Sommer 2021 an geltenden Auflagen halten. Das sind etwa ein Einzahlungslimit von 1000 Euro pro Monat, Vorgaben für die Spielfrequenz, Überwachung der Spieler, Anschluss an eine bundesweite Datei mit gesperrten Spielsüchtigen und Problemspielern. Davon steht aber noch kaum etwas technisch bereit, die Industrie weiß noch nicht, was sie zuerst bereitstellen soll - und noch ist niemand zentral dafür zuständig, die Anbieter zu überprüfen.

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