Pasing:Der Ehre wert?

Das Bismarck-Denkmal auf dem Wensauerplatz bedarf nach Meinung der Lokalpolitiker einer "kritischen Neuinterpretation", weil sich im Lauf der Jahrzehnte Gesellschaftsbild und Politikverständnis geändert haben. Ein Ideenwettbewerb soll die Debatte anstoßen

Von Jutta Czeguhn

Mit Glühwein, Kinderpunsch und Gedichten von Grundschülern wurde an einem kalten Dezembertag des Jahres 1985 die Rückkehr Bismarcks auf den Wensauerplatz in Pasing gefeiert. Oder zumindest Bismarck in Kopie, denn das Original des kleinen Reiterstandbilds war ein Jahr zuvor unter bis heute ungeklärten Umständen von seinem Sockel auf dem Jugendstilbrunnen geklaut worden. Doch damit ist die Geschichte der Statuette aus der Werkstatt des Bildhauers Josef Floßmann längst nicht auserzählt.

Der echte Bismarck tauchte 2005 unter nicht minder ominösen Umständen wieder auf (siehe Pasinger Archiv, Heft 1995), und fand zurück auf seinen Platz, auf den man ihn 1914 erstmals gesetzt hatte. Und nun, im Jahr 2020, rüttelt man wieder, nicht an seiner Bolzenverankerung, sondern ganz grundsätzlich an seinem Anspruch, als Denkmal herumzustehen. Per Antrag haben Grüne und SPD zwar nicht den Sturz der Bismarck-Figur gefordert, so doch "eine kritische Neuinterpretation". Damit konnte die Mehrheit am Dienstag im Bezirksausschuss prinzipiell mitgehen, die Begründung des Antrags allerdings fiel durch. Womöglich weil sie der CSU, vor allem aber der AfD zu sehr am Mythos Bismarcks als "Reichseiniger" kratzte.

Pasing: 2013, zur 1250-Jahr-Feier Pasings, wurde die Statue liebevoll von Kindern eingehäkelt, was der Figur den Beinamen "reitender Topflappen" eintrug.

2013, zur 1250-Jahr-Feier Pasings, wurde die Statue liebevoll von Kindern eingehäkelt, was der Figur den Beinamen "reitender Topflappen" eintrug.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit der Forderung von Grünen und SPD an die Stadt, einen Ideenwettbewerb zur kritischen Betrachtung des Pasinger Denkmals zu ermöglichen, ist die "Black Lives Matter"-Bewegung nun also auch in Pasing angekommen. "Bismarck steht im Kontext einer autoritären, kolonialen und rassistischen deutschen Tradition", heißt es in dem Antrag. Es gehe darum, die Widersprüche in der bismarckschen Biografie aufzuzeigen und einzuordnen; die Leistungen des Preußen beim Aufbau einer Frühform des Parlamentarismus, aber auch seinen energischen Hass gegen die Sozialdemokratie und seine Rolle als Wegbereiter des deutschen Kolonialismus. "Zukünftig soll deutlich werden, dass die Pasinger*innen/Obermenzinger*innen eine andere Vorstellung von deutscher Politik in Gegenwart und Zukunft vertreten. Es ist wünschenswert, dass BPoC (B=Black, PoC=People/Person of Colour) dazu aufgerufen werden, Vorschläge einzureichen", so die Forderung für den Ideenwettbewerb.

Thomas Rittermann, der einzige Vertreter der AfD im 31-köpfigen Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing, hob an zum Widerspruch: "Unser ehemaliger Kanzler" sei bekannt als "absoluter Gegenpol zur deutschen Kolonialpolitik", weshalb es befremdlich sei, was Grüne und SPD hier so "rausposaunten". Bismarck habe den Kolonialismus von vorneherein als "Fass ohne Boden" erkannt. Er werde den Antrag ablehnen.

Man müsse die Denkmäler in München in ihrem jeweiligen Zeit-Kontext sehen, erklärte CSU-Sprecher Sven Wackermann und konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass die örtliche SPD noch 2009 der Rückkehr der Original-Figur auf den Brunner sehr positiv gegenübergestanden habe. Folge man dem Antrag, so Wackermann, müsste man konsequenterweise jede Personenstatue im Münchner Stadtgebiet kritisch betrachten und mit einordnenden Hinweistafeln versehen. Einen Montgelas etwa, Graf Tilly oder Fürst Wrede. "Wir kommen da vom Regen in die Traufe", warnte er. Da müsste man ja die Feldherrenhalle umbenennen, mit einem schwarzen Umhang verhüllen oder abreißen, meinte sein Fraktionskollege, Stadtrat Winfried Kaum. Tilly etwa sei ein Kriegsunternehmer gewesen. Auch Kaum wollte noch historisches Wissen beisteuern. Die koloniale Unterdrückung, das sei zu einer Zeit gewesen, da Bismarck keine Verantwortung mehr getragen habe. Wie Wackermann, wischte Kaum den Antrag aber nicht gänzlich vom Tisch, denn das Ziel von Grünen und SPD sei ja an sich gut: "Zum Ausdruck zu bringen, dass wir heute eine andere Gesellschaft sind, dass wir ein anderes Politikverständnis haben, das kann man auch anders machen."

Bismarck Reiter Denkmal Pasing Wensauerplatz Einweihung 1.4.1914 Honoratioren

Auch wenn die Honoratioren auf dem Foto von der Einweihung 1914 Haltung zeigen, anfangs war man in Pasing etwas pikiert über die Winzigkeit der Bismarck-Statue.

(Foto: Pasinger Archiv/oh)

Die Frage nachdem Wie war damit aber noch nicht beantwortet. Und die Antragsteller verteidigten ihr Ansinnen leidenschaftlich. Lena Schneck (Grüne) beispielsweise, indem sie daran erinnerte, dass Aktivisten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Bewegung "Der Dritte Weg" alljährlich am Pasinger Bismarck-Denkmal Gedenkveranstaltungen absolvierten. Lukas Brunkhorst, der wie Schneck zu den jungen Neulingen im Gremium gehört, nannte Musiker der neuen rechten Szene, die sich in ihren Texten auf Bismarck beriefen. SPD-Sprecherin Franziska Messerschmidt zitierte aus einem Brief Bismarcks an seine Schwester Malwine aus dem Jahr 1861: "Haut doch die Polen, daß sie am Leben verzagen; ich habe alles Mitgefühl für ihre Lage, aber wir können, wenn wir bestehn wollen, nichts andres tun, als sie ausrotten; der Wolf kann auch nichts dafür, dass er von Gott geschaffen ist, wie er ist, und man schießt ihn doch dafür tot, wenn man kann."

"Was uns fehlt, ist der Versuch eines Kompromisses", musste Bezirksausschusschef Frieder Vogelsgesang (CSU) irgendwann feststellen. Und unternahm ebensolchen dann gleich selbst, in dem er die Begründung von Grünen und SPD einkassierte und die Formulierung möglichst allgemein hielt: Der BA will sich nun mit personenbezogenen Denkmälern in Pasing und Obermenzing "intensiv befassen". Den Anfang dieser kritischen Auseinandersetzung will man mit der Bismarck-Statue machen. Dazu soll, wie im ursprünglichen Antrag gefordert, ein Ideenwettbewerb angestoßen werden, an dem sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen können. Davon darf man sich nun wohl etwas anderes erwarten als jenen Schüler-Reim von 1985, als der Bismarck-Nachguss auf den Sockel gehoben wurde: "Auch wenn er bei uns nicht sehr verehrt, ist er doch ein kleines Denkmal wert."

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