Digitalisierung:Aus Kirchheim wird "Smartheim"

Mitarbeiter beim Einsatz von Smart Devices früh einbeziehen

Daten sollen automatisch in Kirchheims digitalen Zwilling übertragen werden.

(Foto: dpa-tmn)

Die Gemeinde wurde in ein vom Bund gefördertes Modellprojekt zur Digitalisierung aufgenommen. Moderne Informations­technologie soll Kommunen und Bürgern neue Möglichkeiten eröffnen.

Von Christina Hertel, Kirchheim

Schon bald könnte es Kirchheim zwei Mal geben. Einmal als realen Ort am Stadtrand von München. Und ein Mal als digitales 3-D-Modell, das zeigt, wie viele Autos durch die Straßen fahren, wie viele Vögel in den Gärten zwitschern, welche Gebäude wo stehen. Vor allem soll das Modell aber veranschaulichen, wie all das zusammenhängt. Welche Auswirkungen hat ein Neubaugebiet auf den Verkehr? Wie viele Insekten und Vögel verschwinden, wenn eine neue Straße gebaut wird? Und wie sollten Ampeln geschaltet sein, damit möglichst niemand im Stau steht?

Diese Idee hält das Bundesinnenministerium für so vielversprechend, dass es Kirchheim für das Modellprojekt "Smart City" ausgewählt hat und mit 2,45 Millionen Euro fördert. Als eine von 32 Kommunen soll Kirchheim die Digitalisierung im Ort vorantreiben und zugleich Vorbild für andere Orte sein. Dafür vergibt das Ministerium insgesamt 350 Millionen Euro. Unter den ausgewählten Kommunen sind Großstädte wie Berlin und Köln, aber auch Dörfer wie Barleben in Sachsen-Anhalt. Die Kirchheimer Bewerbung fertigte Wirtschaftsförderer Tobias Schock unter dem Motto "Smartheim" an. Die Gemeinde gibt neben der Förderung auch noch einmal selbst 1,3 Millionen Euro aus, um so 20 Projekte unter anderem zu den Themen Verkehr, Umwelt und Stadtplanung zu finanzieren. Dafür arbeitet sie mit Partnern wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Technischen Universität München (TUM) und verschiedenen Unternehmen zusammen. Die 3-D-Simulation, die Tobias Schock, Kirchheims "digitalen Zwilling" nennt, könnte man als Herzstück bezeichnen. Dort sollen alle Teilprojekte zusammenlaufen und sichtbar werden.

Ziel ist vor allem, die Gemeinde besser zu verstehen und am Ende Probleme zu lösen. Zum Beispiel wolle Kirchheim seine Verkehrsströme messen und so grüne Wellen schaffen, sagt Schock. Erprobt hat die Gemeinde das bereits bei einem Projekt gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) an bestimmten Stellen innerhalb des Ortes. Nun sollen die Messungen laut Schock auf die gesamte Gemeinde ausgeweitet werden. Zum Beispiel soll mittels Radarsensorik, Kameras und durch das Erfassen von Handydaten festgestellt werden, wann welche Verkehrsmittel wo vorbeifahren und wie man die Bedingungen verbessern könnte. Sorge, dass die Gemeinde bald als Datenkrake auftritt, bräuchten die Bürger allerdings nicht haben, meint Schock. "Die Daten können nicht einzelnen Personen zugeordnet werden. Es geht nicht darum, wer dort entlang läuft, sondern wie."

Außerdem soll die Umwelt in Kirchheim besser erfasst werden. Bei einer Vogelzählung sollen künftig nicht mehr einzelne Menschen in ihrem Garten zählen, sondern Kameras und Hochfrequenzmikrofone sollen Signale erfassen. So lässt sich Schock zufolge auch genauer feststellen, wie sich die Population entwickelt.

Am Ende sei die Idee, diese Daten automatisch in Kirchheims digitalen Zwilling zu übertragen und mittels künstlicher Intelligenz Rückschlüsse zu ziehen. Für einen Bauantrag eines Wohnhauses müssten Bürger dann nicht mehr mit ihren Plänen ins Rathaus kommen, sondern sie könnten einen Datensatz schicken. In dem 3-D-Modell würde das neue Gebäude sofort aufploppen, erklärt Schock. Und sollte es gegen Bestimmungen verstoßen, würde eine Warnung erscheinen. Auch wie schlimm der Verstoß ist und welche Auswirkungen er hätte, könnte das Modell anzeigen. "Das könnte Prozesse im Bauamt erleichtern."

Um den Bewohnern zu zeigen, was bei dem Smart-City-Projekt alles vor sich geht, plant Kirchheim eine "Bildungswerkstatt" an der Taxisstraße. Dort sollen Daten visualisiert und Ziele des Projekts erklärt werden. Schock will die Bürger einbeziehen. "Vogelliebhaber könnten etwa ihre eigene kleine Forschungsstation in ihrem Vogelhäuschen aufbauen." Jeder soll sein Wissen in einzelne Projekte einbringen können. Diese leitet jeweils ein Experte, wie etwa ein Professor einer bestimmten Fakultät der TUM. Tobias Schock und Tobias Franke vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz koordinieren das Projekt, das innerhalb der nächsten drei Jahre abgeschlossen sein soll.

Das zweite Mal vergibt die Bundesregierung eine solche Förderung. Diesmal lautet das Motto "Gemeinwohl und Netzwerkstadt/Stadtnetzwerk". Die geförderten Projekte sollen aufzeigen, wie die Qualitäten der europäischen Stadt in das Zeitalter der Digitalisierung übertragen werden können. Es hatten sich 86 Städte, Kreise und Gemeinden sowie interkommunale Kooperationen aus ganz Deutschland beworben. Bis Ende Oktober muss der Kirchheimer Wirtschaftsförderer seine Pläne konkretisieren, Ende des Jahres soll das Projekt beginnen. An dem digitalen Zwilling werde allerdings schon jetzt gebaut, sagt Schock.

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