Wirecard-Untersuchungsausschuss:Ein Skandal wie aus dem Drehbuch

Wirecard-Untersuchungsausschuss: Schriftzug an der Wirecard-Zentrale bei München

Schriftzug an der Wirecard-Zentrale bei München

(Foto: AFP)

Grüne, FDP und Linke starten im Bundestag den Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard. Auch Kanzlerin Merkel soll aussagen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wäre der Bilanzskandal Wirecard eine Netflixserie, sagt Danyal Bayaz, Finanzexperte der Grünen im Bundestag, "dann starten wir jetzt die zweite Staffel". Es ist Donnerstagmittag in Berlin, der Grüne sitzt zusammen mit Fabio De Masi von den Linken und Florian Toncar von der FDP in der Bundespressekonferenz, zusammen stellen sie das Setting vor.

Die Staffel "Aufklären und nichts verbergen" wird bis Juni 2021 laufen. Dann soll es einen Abschlussbericht geben, der zur dritten Staffel überleiten soll. "Unser Bericht kommt im Wahlkampf, viele Anleger sind geschädigt, die Bürger fühlen sich betrogen", sagt Bayaz. Das werde "hohen Druck auf die nächste Regierung erzeugen, Konsequenzen zu ziehen".

Deutschland wird für ein Jahr eine Reality-Show verfolgen können, die sich Drehbuchautoren nicht besser hätten ausdenken können. "Wirecard ist nicht irgendein Kriminalfall, nicht nur wichtig wegen der kriminellen Energie und der Dimensionen, sondern einer, der unter dem Radar sämtlicher Schutzgremien gelaufen ist", sagt FDP-Mann Toncar. Anleger haben bis zu 3,2 Milliarden Euro verloren.

"Es kann nicht sein, dass man die Kleinen hängt und diejenigen laufen lässt, die große Räder weltweit drehen." Das ist ein Satz, den man so nicht unbedingt aus der Partei von Christian Lindner erwartet.

Womit man bei einem weiteren interessanten Aspekt des Settings ist: Der Chuzpe des mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard, über Jahre bandenmäßig organisiert zu betrügen und dabei mindestens 1,9 Milliarden Euro an Luftbuchungen vorzunehmen, ist es zu verdanken, dass im Bundestag zusammengewachsen ist, was bislang nicht zusammengehörte.

Die Protagonisten der zweiten Staffel sind drei Abgeordnete, deren Parteien - FDP, Linke und Grüne - politisch eigentlich ganz weit auseinanderliegen. Ein dunkelrot-grün-gelbes Bündnis? Unvorstellbar, bislang jedenfalls.

In Berlin aber sitzen in der Bundespressekonferenz nun drei jüngere Abgeordnete, die unbefangen sagen, dass sie einander mögen und gut zusammenarbeiten können. "Wir saßen Tage unseres Lebens in der Geheimschutzstelle des Bundestags und haben uns da persönlich näher kennengelernt", sagt Toncar von der FDP. "Wir beweisen, dass wir trotz politischer Unterschiede gut zusammenarbeiten können", sagt De Masi von den Linken. Der Grüne Bayaz schreibt auf Instagram: "Manche nennen uns ja die Backstreet-Boys des Bundestags."

Die Wertschätzung hat geholfen, dass sich die drei von der Opposition so schnell auf den Untersuchungsgegenstand des Ausschusses einigen konnten: Sind Regierung und Behörden ihren Pflichten nachgekommen, hätten sie Straftaten früher aufdecken können? Man will eine Reform der Aufsichts- und Wirtschaftsprüfer, der Geldwäscheaufsicht sowie der Strafverfolgung von Bilanzbetrug vorschlagen.

Zum dunkelrot-grün-gelben Bündnis hat die große Koalition beigetragen. Es könne nicht sein, dass niemand aus CDU, CSU und SPD Fehler einräume oder Verantwortung übernehme dafür, dass Wirecard so lange hat betrügen können, kritisiert Toncar. Im Ausschuss soll das aufgearbeitet werden.

AfD wünscht sich den Ausschuss-Vorsitz für sich

Zu den Zeugen, die vorgeladen werden könnten, gehört auch "die Frau Bundeskanzlerin", die noch für Wirecard Lobbyarbeit betrieben hat, als in der Zeitung schon über den Betrug geschrieben wurde. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. In Bayern "gab es viele Leute, die Klinken geputzt haben", sagt De Masi. Es fallen auch die Namen Olaf Scholz, Jörg Kukies, Klaus-Dieter Fritsche, Karl-Theodor zu Guttenberg.

Grüne, FDP und Linke haben genug Stimmen, um den Ausschuss im Bundestag zu erzwingen. Es sollen 18 Abgeordnete mitarbeiten, sechs für CDU/CSU, vier für die SPD sowie jeweils zwei für AfD, Linke, Grüne und FDP. Die AfD beansprucht den Vorsitz und hat Kay Gottschalk vorgeschlagen. Ob er durchkommt, wird in einer der ersten Folge der zweiten Staffel Wirecard zu sehen sein.

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