Brexit:Johnsons Manöver ist eine Gefahr für die Demokratie

Brexit: Stellt seine Brexit-Ideologie über das Recht: Boris Johnson

Stellt seine Brexit-Ideologie über das Recht: Boris Johnson

(Foto: AFP)

Der Premier will den Brexit-Vertrag mit der EU brechen - ein Sündenfall, denn bisher konnte man sich auf das Wort der Briten verlassen. Das Parlament muss den Regierungschef stoppen.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Im Land der Magna Carta gibt es keine geschriebene Verfassung, aber ein Grundsatz ist im britischen Recht fest verankert: Die Regierung muss das Gesetz einhalten. Vor gerade einmal zwei Jahren bestätigte der Court of Appeal, dass diese Verpflichtung internationales Recht einschließt. Normalerweise müsste man daran nicht erinnern, aber was in dieser Woche in London geschah, ist eben nicht normal. Mit seinem Vorhaben, den Brexit-Vertrag mit der EU zu brechen, hat Boris Johnson das Fundament der britischen Demokratie erschüttert.

Der Premierminister greift ein Prinzip an, das zu den Grundpfeilern des Vereinigten Königreichs gehört: die Rechtsstaatlichkeit. Johnsons Plan, gegen internationales Recht zu verstoßen, ist ein Kulturbruch. Der frühere konservative Premierminister John Major hat zu Recht daran erinnert, dass Großbritannien gerade dabei ist, "etwas Unbezahlbares unwiderruflich zu verlieren". Das Wort der Briten, ihre Unterschrift unter Verträgen oder Abkommen war stets sakrosankt. Doch Johnson, der Tradition und Geschichte sonst gerne in seinen Reden hochhält, gibt sich davon unbeeindruckt.

Einmal mehr zeigt sich: Dieser Premierminister biegt sich das Recht für seine Zwecke zurecht. Er stellt seine Brexit-Ideologie über das Gesetz, so wie vor einem Jahr, als er das Parlament in den Zwangsurlaub schickte. Erst der Supreme Court stoppte Johnson. Das Gericht stellte fest: Der Premier handelte rechtswidrig. Nun liegt es am Parlament, Johnson aufzuhalten. Unterhaus und Oberhaus müssen der Regierung zeigen, wer der Souverän ist. Den dort versammelten Frauen und Männern obliegt es, den Gesetzentwurf, der den Brexit-Vertrag aushebeln soll, abzulehnen.

Viele Tories haben Angst, als Verräter zu gelten

Ob dies im House of Commons gelingt, ist ungewiss. Johnsons Konservative Partei verfügt über eine Mehrheit von 80 Stimmen. Derzeit proben gut 30 Abgeordnete den Aufstand. Das ist zu wenig. Ein Grund für die Verzagtheit vieler Tories ist die Angst, von Johnson als "Remainer" abgestempelt zu werden - als Verräter, die den Brexit-Willen des Volkes nicht akzeptieren. Und so zögern sie, ihre Stimme gegen den Premier zu erheben. Das ist beschämend, aber so ist nun mal der Zustand einer Partei, die vorgibt, für Recht und Ordnung zu stehen.

Anders ist die Lage im House of Lords. Dort sitzen jene, die politisch nicht mehr viel zu verlieren haben. Sie können es sich erlauben, ihre Überzeugung nicht nur wortgewaltig zu äußern, sondern auch danach zu handeln. Lord Lamont möge recht behalten mit seiner Einschätzung, dass dieser Gesetzentwurf so nicht durch das Oberhaus kommt. Der frühere konservative Schatzkanzler ist ein Brexiteer, aber er hat das, was viele seiner Parteifreunde verloren haben: einen politischen Kompass, der zeigt, was recht und unrecht ist.

Wie es aussieht, ist auch Labour-Chef Keir Starmer noch dabei, den seinigen zu finden. Bei den Prime Minister's Questions stellte er Johnson keine einzige Frage zum geplanten Rechtsbruch. Aus innenpolitischem Kalkül geißelte er lieber die Corona-Politik der Regierung. Auch das ist wichtig, aber damit verharmloste er Johnsons Attacke auf die Rechtsstaatlichkeit. Er hätte das Manöver des Premiers als das brandmarken müssen, was es ist: eine Gefahr für die Demokratie.

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