Türkei:Mit aller Macht auf Energiesuche

Lesezeit: 3 min

Daheim in Istanbul: Das türkische Forschungsschiff Oruç Reis hat mit seinen Fahrten im östlichen Mittelmeer Griechenland und Zypern alarmiert. (Foto: Ozan Kose/AFP)

Ankara will mit seiner umstrittenen Strategie im östlichen Mittelmeer die Abhängigkeit von Importen verringern - und nimmt dabei Streit in Kauf.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Gerade hat die Oruç Reis wieder ihre Heimatgewässer vor Antalya erreicht - Politiker und das Militär in Griechenland und Zypern dürften erleichtert sein. Die Fahrten des türkischen Forschungsschiffes hatten in den vergangenen Wochen für Aufregung gesorgt. Die Oruç Reis war bei ihrer Suche nach Erdgasvorkommen in Gewässern unterwegs gewesen, die von Griechenland und der Republik Zypern beansprucht werden, und sie wurde rund um die Uhr von türkischen Kriegsschiffen begleitet. Der Showdown im östlichen Mittelmeer, den sich Türken und Griechen mit ihren Fregatten und Korvetten seit Monaten liefern, dürfte damit aber keineswegs enden: Die Türkei wird weiter nach Rohstoffen in den zwischen Ankara, Athen und Nikosia umstrittenen Seegebieten suchen.

Hinter dieser international fast einstimmig verurteilten Politik des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan steht neben machtpolitischen Ambitionen offenbar das Ziel, in Zeiten des wachsenden globalen Bedarfs Energiesicherheit für die Türkei zu erreichen: durch Rohstoff-Funde im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer. "Es geht nicht nur darum, unsere Flagge zu zeigen mit unseren riesigen Bohr- und Forschungsschiffen", kommentierte ein hochrangiger Mitarbeiter im türkischen Energieministerium gegenüber der SZ die Politik Ankaras.

Die Türkei gibt für die Einfuhr von Öl und Gas jährlich fast 40 Milliarden Euro aus

Vor diesem Hintergrund dieser energiepolitischen Strategie rundet sich das Bild von Erdoğans "neo-osmanischer Außenpolitik" ab. Einher mit dem aggressiv vorangetriebenen Anspruch auf politisch-militärische Vormacht oder zumindest Mitsprache im östlichen Mittelmeer, in Nordafrika, Nahost und Teilen des Kaukasus geht die Zielsetzung, die Türkei zu einer führenden Industrienation und Energiedrehscheibe zu entwickeln. Durch diese Modernisierung soll offenbar auch der innenpolitische Machterhalt des seit fast 20 Jahren regierenden Erdoğan gesichert werden.

Die Türkei hat fast keine eigenen Öl- oder Gasvorkommen; sie ist auf teure Importe angewiesen und wendet dafür fast 4o Milliarden Euro jährlich auf. Zukünftige Energiesicherheit für das 80-Millionen-Einwohner-Land solle mit einem "Triple-Mix aus Öl- und Gas, erneuerbaren Energien und Atomkraft" erreicht werden, so der Vertreter des Energieministeriums. Eine besondere Rolle spielten neben erneuerbaren Energien und Atomkraft die erhofften Erdgasfunde im Schwarzen Meer und im östlichen Mittelmeer. Ankara habe insgesamt elf Forschungs- und Bohrschiffe angeschafft: "Wir planen langfristig."

Dass diese mit militärischen Drohgebärden abgesicherte Rohstoffpolitik angesichts strittiger Seegrenzen auf den Widerspruch der meisten anderen Anrainer des östlichen Mittelmeeres stößt, nimmt Ankara in Kauf. "All diese Sanktionen und andere - direkte oder indirekte Strafmaßnahmen -, werden die Position der Türkei nicht beeinflussen", sagt der Vertreter des Energieministeriums: "Dafür ist die Energiesicherheit für die Türkei zu wichtig."

Die Türkei importiert mehr als 90 Prozent ihres Bedarfs an Erdöl und fast das gesamte Erdgas. Die Rohstoffe stammen vor allem aus Russland, Aserbaidschan, Iran, Katar, Nigeria und Algerien. Die teuren Energieimporte sind einer der Gründe für das hohe Leistungsbilanzdefizit in dem Land, das sich in den vergangenen 20 Jahren stark entwickelt und modernisiert hat. Erdoğans seit 2002 regierende AKP-Partei hat versprochen, "jeden Haushalt in der Türkei mit Gas und Strom zu versorgen", zugleich will sie die Abhängigkeit von Kohle in Zeiten des Klimawandels reduzieren.

Das Land hat bisher keine Atomkraftwerke, will aber 2023 einen Meiler in Betrieb nehmen

Im Schwarzen Meer haben türkische Bohrschiffe jüngst ein großes Erdgasfeld gefunden. Präsident Erdoğan sprach von einem 320-Milliarden-Kubikmeter-Vorkommen; weitere Probebohrungen im Sakarya-Feld könnten noch größere Reserven offenlegen, so das Energieministerium. Im östlichen Mittelmeer wurden in den von der Türkei einseitig beanspruchten Seegebieten noch keine Gasvorkommen entdeckt; gesucht wird vor allem auch rund um Zypern und vor griechischen Inseln wie Rhodos und Kreta. Bei der Suche vor Zypern versteht sich die Türkei als Schutzmacht der international nicht anerkannten Republik Nordzypern. Ankara anerkennt die außerordentliche Wirtschaftszone der Republik Zypern nicht und verlangt, dass Gasfunde nicht nur der Republik Zypern, sondern auch dem türkisch bevölkerten Nordzypern zu Gute kommen.

Ein weiterer Grund für die verstärkte Energiesuche sind nach Darstellung des Regierungsvertreters die auslaufenden Lieferverträge mit Öl- und Gas-Lieferanten wie Russland, Aserbaidschan oder Katar. Ankara erhofft sich angesichts der starken Veränderungen vor allem auf dem Markt für Flüssiggas (LNG) bessere Konditionen. Die bisherigen Lieferverträge beruhten auf Gaspreisen, die sich am Erdöl-Index orientieren. Dies sei angesichts der starken Konkurrenz am LNG-Markt "nicht mehr zeitgemäß". Voraussetzung für eine Verlängerung solcher Lieferverträge durch die Türkei seien "Preise, die sich nicht mehr am Ölpreisindex orientieren", sagte der Mitarbeiter des Energieministeriums.

Ankaras Energiepolitik "2.0" setze in den kommenden Jahren auf einen Mix aus fossilen Brennstoffen, erneuerbarer Energie und Atomkraft. Die Türkei hat bisher keine Atomkraftwerke, will aber 2023 einen Meiler in Betrieb nehmen. Die staatliche russische Atomagentur Rosatom baut im türkischen Akkuyyu ein Kraftwerk, das von Rosatom in eigener Regie und "mit allen Investitionen" betrieben werden soll, so der Vertreter des Energieministeriums. Die Türkei habe lediglich eine Abnahmegarantie für 50 Prozent des Stroms über einen Zeitraum von 15 Jahren garantiert. Sicherheitsbedenken habe man trotz der hohen Erdbebengefährdung der Türkei dabei keine.

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: