Russland:Nur das Gefühl einer Auswahl

Trotz aller Mühen der Opposition, Gegenkandidaten zu stärken: Bei der Regionalwahl setzen sich zumeist die Kandidaten der Regierungspartei durch. Bürgerrechts­organisationen üben Kritik am Verlauf der Abstimmung.

Von Silke Bigalke, Moskau

Members of a local electoral commission empty a ballot box to start counting ballots at a polling station after polls closed for municipal elections in Tomsk

Mitglieder einer lokalen Wahlkommission in Tomsk beim Auszählen.

(Foto: Maxim Shemetov/REUTERS)

Aus Sicht des Kreml waren die russischen Regionalwahlen ein Erfolg, aus Sicht der Wähler waren sie wenig überraschend. Dabei war die Abstimmung dieses Jahr besonders gespannt erwartet worden, nicht nur wegen der Proteste nach den Wahlen in Belarus. Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hatte bis kurz vor seiner Vergiftung für eine besondere Wahlstrategie geworben, um der Regierungspartei Einiges Russland Stimmen abzunehmen. Außerdem war es die letzte Abstimmung vor der nächsten Duma-Wahl.

Insofern war sie für den Kreml auch ein Testlauf: Mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten war am Wochenende aufgerufen, Gouverneure, Bürgermeister, Stadträte und regionale Parlamente zu wählen. Meistens setzten sich die Kandidaten der Regierungspartei durch. Auch alle Gouverneurswahlen entschieden Kreml-Kandidaten für sich. Selbst in Regionen wie Irkutsk, wo das Rennen als ungewöhnlich offen galt, gewannen die Amtsinhaber am Sonntag in der ersten Wahlrunde.

In den vergangenen Jahren hatte der Kreml wiederholt Schwierigkeiten gehabt, seine Kandidaten durchzusetzen. Zwar ließ er selten unabhängige Herausforderer zu. Doch immer wieder versammelten sich Wähler aus Protest hinter Scheinoppositionellen, die eigentlich nur angetreten waren, um den Wählern das Gefühl einer Auswahl zu geben. Auch in Irkutsk war das die Strategie der Kreml-Kritiker: Dort hatten sie den Kommunisten Michail Schtschapow auserkoren, um den Kandidaten der Regierungspartei aus dem Amt zu werfen. Dabei versteht sich Schtschapow selbst als Oppositioneller innerhalb des Systems und ist damit niemand, der für echte Veränderungen steht. Entsprechend lau war seine Rede nach der Niederlage. "Ich habe mehrmals gesagt, dass ich die Kampagne nicht als eine Art Wettbewerb betrachte", sagte er. Deswegen sei dies "weder eine Niederlage noch ein Sieg".

Das Konzept, aus Protest für den stärksten Herausforderer des Kreml-Kandidaten zu stimmen, hat Alexej Nawalny perfektioniert. Er achtet dabei nicht auf politische Programme, solange die Regierungspartei verliert. Sein Team hat eine Internetseite erstellt, die für Wähler ausrechnet, wem sie ihre Stimme geben müssen. Dieses "kluge Abstimmen" hatte vor allem dort Erfolg, wo es echte Gegenkandidaten gab: Zwei Nawalny-Mitarbeiter zogen in den Stadtrat im sibirischen Tomsk ein. Dort hat die Regierungspartei zudem beinahe die Hälfte ihrer Sitze und damit die Mehrheit verloren. Aus Tomsk war Nawalny aufgebrochen, als er im Flugzeug zurück nach Moskau zusammenbrach.

Zuvor war er in Nowosibirsk gewesen. Dort hatten 31 unabhängige Kandidaten eine Koalition gebildet und auf eine Mehrheit im Stadtrat mit seinen 50 Sitzen gehofft. Am Ende gewannen fünf Kandidaten der Koalition, darunter Nawalnys Mitstreiter Sergej Bojko. Sowohl in Tomsk, als auch in Nowosibirsk sind Oppositionelle immer wieder attackiert worden. In Nowosibirsk hatten Unbekannte nur Tage vor der Wahl eine Schulung für Wahlbeobachter angegriffen.

Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission Ella Pamfilowa freute sich dennoch über eine nur "minimale Zahl schwerwiegender Verstöße". Die Bürgerrechtsorganisation Golos widersprach. Sie kritisierte vor allem, dass sich die Abstimmung über drei Tage zog und es kaum möglich gewesen sei, sie lückenlos zu beobachten. Zudem sei Druck auf Beobachter, Mitglieder der Wahlkommission und Kandidaten ausgeübt worden.

Während die russische Wahl ausgewertet wurde, traf sich Wladimir Putin am Montag mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in Sotschi. Lukaschenko steht seit der umstrittenen Wahl im August unter Druck, am Sonntag demonstrierten erneut mehr als 100 000 Belarussen gegen ihn. Präsident Putin betonte zwar, dass Belarus die Situation ohne Einmischung von außen lösen müsse. Nur für ihn scheint dies nicht zu gelten: Moskau werde dem Nachbarland "in diesem schwierigen Moment" mit einem Kredit über 1,2 Milliarden Euro aushelfen, versprach er Lukaschenko und betonte ihre enge Partnerschaft.

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