Nach Brand in Moria:Europa muss mehr tun, als ein paar Flüchtlinge aufzunehmen

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Eine Frau und ihr Baby nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos. (Foto: obs)

Die EU muss mit den Griechen effiziente Strukturen aufbauen, um vor Ort zu entscheiden, wer ein Recht auf Asyl hat und wer nicht. Und sie muss weiter mit der Türkei verhandeln.

Kommentar von Tobias Zick

Niemand, der auch nur noch ein Fünkchen Herz - und auch Verstand - hat, dürfte ernsthaft daran zweifeln, dass die Menschen, die auf der Flucht vor den Flammen in Moria gestrandet sind, schnellstmöglich in Sicherheit gebracht werden müssen. Wer erlebt hat, wie die griechischen Behörden in den vergangenen Tagen die Arbeit der Hilfsorganisationen behindert haben, dem drängte sich der Eindruck auf, hier sollten nun Tausende, einschließlich Frauen und Kinder, kollektiv dafür bestraft werden, dass einige unter ihnen revoltiert und das Lager in Brand gesteckt haben.

Doch auch wenn man davon ausgeht, dass Migranten selbst die Brände gelegt haben; wenn die jetzt festgenommenen Verdächtigen sich als die Täter erweisen: Auch für Kriminelle gelten eigentlich die essenziellen Menschenrechte. Selbst mutmaßliche oder verurteilte Schwerverbrecher lässt man nicht auf der Straße schlafen, sie müssen nicht dürsten oder sich mit Abwasser waschen. Schon gar nicht nimmt man ihre erweiterten Familien sowie etliche weitere, in ihrer Nähe befindliche Personen in Sippenhaft.

In den Debatten um die akute humanitäre Katastrophe auf der Ägäis-Insel geraten allerdings mitunter die Zeitebenen durcheinander. Es ist eine Sache, den Menschen in Not kurzfristig Nahrung, Wasser, Obdach und Schutz vor Übergriffen zu verschaffen. Eine andere Sache ist der langfristige Umgang mit den Menschen, die am südöstlichen Rand der EU ankommen.

Brand in Moria
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Nach einer weiteren Person werde im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Brandstiftung auf der Insel Lesbos gefahndet. Tausende auf den Straßen ausharrende Geflüchtete weigern sich, in ein neu errichtetes Behelfslager zu ziehen. Sie fürchten, dass die Bedingungen dort so schlecht sein könnten wie im niedergebrannten Moria.

Während die europäischen Regierungen miteinander und mit sich selbst um die Frage ringen, wie viele der Gestrandeten sie jetzt aus Griechenland ausfliegen sollen, stemmt sich Athen eher dagegen - aus Sorge, solche humanitären Gesten würden die Anreize, auf die Ägäis-Inseln zu kommen, wieder verstärken; das Prinzip der Abschreckung, das schon der linken Vorgängerregierung nicht ganz fern lag, könnte so ausgehebelt werden.

Wer an einer echten europäischen Lösung interessiert ist, muss die Athener Perspektiven allerdings ernsthaft einbeziehen. Die anderen Europäer haben es sich in den vergangenen Jahren recht bequem damit gemacht, per Schließung der Balkanrouten viele praktische Probleme den Griechen zu überlassen.

Die Elendszustände in den Insellagern resultieren nicht zuletzt daher, dass die griechische Bürokratie - durchaus auch selbst verschuldet - damit überfordert war, Asylanträge zügig zu bearbeiten.

Wenn die Europäer sich jetzt wirklich ihrer Verantwortung stellen wollen, dann ist es nicht damit getan, einige Hundert oder Tausend Minderjährige von der Straße auf Lesbos zu holen. Die EU muss mit den Griechen effiziente Strukturen aufbauen, um vor Ort viel schneller als bisher, nach klaren, rechtsstaatlichen Prinzipien zu entscheiden, wer ein Recht auf Asyl hat und wer nicht.

Und sie muss weiter um diplomatische Lösungen und tragbare Abkommen mit der Türkei ringen. Deren Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mehrmals klargemacht, wie wenig Skrupel er dabei hat, Flüchtlinge als Druckmittel in politischen Konflikten mit Griechenland zu missbrauchen. Die offene Seegrenze in der Ägäis macht es ihm leicht, das auch in Zukunft wieder zu tun. Die Berliner Vermittlungen im Erdgasstreit zwischen Athen und Ankara sind deshalb, so abstrakt das klingen mag, ein Schlüsselelement der europäischen Migrationspolitik.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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