Hessen:Paradies auf Zeit

Proteste im Dannenröder Forst

Die Polizei räumt am Mittwoch Barrikaden im Dannenröder Forst und führt einen vermummten Waldbesetzer weg.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Im Dannenröder Forst in Oberhessen hat sich ein Bündnis aus Waldrettern und Hambacher-Forst-Veteranen zusammengefunden, um den Weiterbau der A 49 zu verhindern - doch ab Oktober soll gerodet werden.

Von Matthias Drobinski, Dannenrod

Um 8.30 Uhr ist die Polizei im Wald. 80 Polizisten mit Helmen und Plexiglas-Schutzschilden nähern sich den Barrikaden der Waldbesetzer - Gestrüppverhaue, dreibeinige Baumstamm-Konstruktionen, in die sich ein Mensch eingehängt hat. Über eine Hebebühne versucht die Polizei, an ihn heranzukommen. Vermummte junge Frauen und Männer haben sich auf den Weg gesetzt. Als die Polizisten sie wegtragen, gibt es Rangeleien. "Polizeigewalt am Tripod", twittern die Aktivisten - "die Polizei gefährdet das Leben des Menschen da oben", sagt eine Sprecherin. Die Polizei antwortet: Man müsse die Rettungswege frei machen und den Zugang zu einem Trinkwasserschacht. Baumhäuser der Waldbesetzer würden nicht geräumt. Selbstverständlich achte man die Versammlungsfreiheit, werde aber Straftaten konsequent verfolgen.

Der Kampf um den Dannenröder Forst im oberhessischen Vogelsbergkreis ist in die heiße Phase getreten. Er ist auch eine Schlacht der Bilder und gegenläufigen Informationen, vieles erinnert an die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst, der dem Braunkohle-Tagebau weichen sollte, der besetzt und geräumt wurde und nun doch bleiben darf. Mancher Aktivist hat direkt den Forst gewechselt; seit einem Jahr gibt es hier Baumhäuser: "Danni bleibt!", verkünden Transparente.

Umweltschützer fürchten um Wald und Wasser, aber CDU, SPD und FDP sind für den Ausbau

Wären vergangenen September nicht zur Überraschung der Polizei die Waldbesetzer auf die Bäume gegangen, würden längst Kettensägen und Baumaschinen eine 27 Hektar große Schneise durch den Wald schlagen, damit die Autobahn 49 weitergebaut werden kann, die Verbindung von Kassel nach Frankfurt. Seit mehr als 40 Jahren ist das insgesamt 43 Kilometer lange Teilstück in Planung, insgesamt 85 Hektar Wald sollen für den Bau fallen. Die lärmgeplagten Anwohner der Bundesstraße 3, auf der sich bislang die Lastwagen Tag und Nacht durch die Dörfer quälen, hoffen auf Entlastung, Unternehmer und Pendler auf bessere Wege in die strukturschwache Vogelsberg-Region. Seit mehr als 40 Jahren gibt es aber auch Kritik an dem Vorhaben: Der Dannenröder Forst ist ein gesunder Mischwald, unter ihm liegt ein großes Grundwasserreservoir. Umweltschützer fürchten um Wald und Wasser, sollte die Autobahn gebaut werden.

Doch ihre Proteste blieben ungehört. CDU, SPD und FDP in Hessen sind für den Ausbau, die betroffenen Kreistage, die Ortsparlamente. Im Juni scheiterte der Bund für Umwelt- und Naturschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig endgültig mit einer Klage gegen den Weiterbau: Zwar sei der Planfeststellungsbeschluss "hinsichtlich der wasserrechtlichen Prüfung fehlerhaft", doch die entsprechenden Gutachten könnten nachgereicht werden, urteilte das Gericht.

Am Morgen vor dem Polizeieinsatz ist es idyllisch ruhig im Wald, Vögel zwitschern, der Lärm der Straße ist fern, die Blätter und die Septembersonne treiben ihr Lichterspiel, merkwürdig leise tröpfelt Punkrock aus einem Baumhaus, Fahnen und Wimpel autonomer Gruppen markieren Präsenz. Die Linksfraktion im Hessischen Landtag hat sich angesagt zur Fraktionssitzung im Wald, Janine Wissler, die Vorsitzende, und ein paar andere Mutige steigen auf eine der niedrigeren Plattformen. Vielleicht eine Solidaritätsfaust fürs Foto? Klar doch. Man nimmt auf den Baumstümpfen eines gerodeten Waldstücks Platz, eine tragbare Mikrofonanlage trägt Wisslers Dank an die Besetzer über die Lichtung.

Das Bündnis der Waldretter und Autobahngegner ist bunt. Es reicht von den Hambacher-Forst-Veteranen bis hin zum Biologen, der sich seit einem halben Menschenleben durch Details fräst und die Baumbewohner ermahnt, im Polizisten den Menschen zu sehen. Auch Barbara Schlemmer, die pensionierte Deutsch- und Religionslehrerin, würde nie "Bulle" sagen; dass ihr ein CDU-Kollege im Stadtrat von Homberg (Ohm), wo sie für die Grünen sitzt, vorwarf, Extremisten zu unterstützen, empört sie zutiefst. Für sie ist das Projekt Beleg eines bedrückend großen Menschenunverstands: Wie kann man im Angesicht der Erderhitzung an einem dinosaurierhaften Projekt festhalten, das noch mehr Autoverkehr in die Region bringt und noch mehr Wald zerstört?

"Das passt nicht mehr in die Zeit!", ruft die Grünen-Politikerin. Und: "Eigentlich müsste auch die Grünen-Spitze hier stehen!" Die aber fehlt. Die Grünen haben ein Problem: Auf Bundesebene fordern sie den Baustopp der A 49, in Hessen aber stellen sie den Verkehrs- und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Der hat zwar klargestellt, dass er persönlich gegen den Bau ist - aber auch, dass er als Minister Mehrheitsentscheidungen und Baugenehmigungen respektieren werde. Im Wald gilt das als Bewusstseinsspaltung.

"Gibt es denn so etwas wie einen Aktionskonsens?", fragt ein Linken-Abgeordneter die Aktivistin Lou, die die Fraktion durch den besetzten Wald geführt hat. Jeder Mensch sei hier selber verantwortlich für sein Handeln, antwortet sie, ein Tarnfleck-Tuch vorm Mund, eine schwarze Wollmütze auf dem Kopf, und: "Wir wollen keine Menschen gefährden oder bedrohen." Eine Antwort, ob das alle hier so sehen, ist das nicht. Was sie den Leuten sagt, die auf die Autobahn hoffen? Dass es nicht mehr Autos braucht, sondern ein besseres Verkehrskonzept, antwortet Lou, mit kostenlosen Bussen und Bahnen, und eine Wirtschaftsordnung, in der Waren nicht um den ganzen Globus geschickt werden.

Und dann schwärmt sie vom Leben im Wald. Seit Mai lebt sie hier, mit wenig Waschwasser und veganem Brei zum Mittagessen, zwischen Abitur und Studienbeginn. Für sie wird im Baumhausdorf eine Utopie Wirklichkeit. Ein ziemlich anstrengendes Paradies, wie sie zugibt. Und eins auf Zeit: Ab Oktober darf im Dannenröder Forst gerodet werden.

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