Führungskräfte in der Krise:Neue Qualitäten gefragt

In vielen Unternehmen kam der Wandel in diesem Frühjahr ganz automatisch. Für einige potenzielle Führungskräfte könnte darin eine Chance liegen.

Von Felicitas Wilke, München

Auch in Unternehmen, die nicht gleich ihre Hierarchien abgeschafft haben oder alle Mitarbeiter aktiv Entscheidungen treffen lassen, hat sich in den vergangenen Monaten viel verändert. Insbesondere in Branchen, in denen keine körperliche Arbeit verrichtet wird, sind viele Menschen ins Home-Office gezogen - und damit aus dem Blickfeld ihrer Vorgesetzten verschwunden.

"Die Corona-Krise geht für viele Führungskräfte mit einem Kontrollverlust einher", sagt die Organisationsberaterin Gabriele Schambach. Eine Tatsache, die man nicht unbedingt mit Spähsoftware oder gar Detektiven auflösen muss, so wie das Unternehmen und Vorgesetzte vereinzelt tun. Vielmehr brauche es mehr Vertrauen, rät Schambach. "Damit das gelingen kann, sollten Führungskräfte und Mitarbeiter klare und messbare Ziele vereinbaren und voneinander wissen, wer wann erreichbar ist und welche Aufgaben priorisiert werden."

Mehr Vertrauen, weniger Kontrolle von oben nach unten: Diese Charakteristika, die Corona mit sich bringt, predigen die Anhänger von Konzepten neuer Arbeit schon lange. Doch unabhängig davon, ob das neue Verhältnis zwischen Führungskräften und ihren Teams nun aus der Not einer Pandemie heraus geboren oder aktiv so gewollt ist, setzt es andere Anforderungen an die Chefinnen und Chefs als bislang. "Sie müssen individueller führen", sagt Michaela Moser, die Personalmanagement an der IUBH Internationale Hochschule lehrt. "Manchen Mitarbeitern fehlt die persönliche Ansprache im Home-Office mehr als anderen, wiederum andere haben Probleme, sich selbst zu organisieren. Darauf müssen die Führungskräfte eingehen", sagt Moser.

Die dafür notwendigen Kompetenzen passen nicht unbedingt zu den Attributen, die viele vor Augen haben, wenn sie an "einen Chef" denken. "Lange Zeit galten eher Rationalität, Härte und Durchsetzungsvermögen als wichtige Eigenschaften für Führungskräfte", sagt Schambach. Spätestens jetzt, in der aktuellen Situation, würden jedoch auch andere, sogenannte "Soft Skills" wichtiger, allen voran Kommunikation, Fürsorge und Vertrauen. Die Organisationsberaterin, die an der Universität St. Gallen zudem das Projekt "Leaders for Equality" zu mehr Gleichstellung in Unternehmen leitet, glaubt daran, dass dieser Wandel mehr Frauen in Führungspositionen bringen könnte.

Männer markieren den Starken, während Frauen besser zuhören können und die Mitarbeiter umsorgen? Das sei natürlich stereotypes Denken, betont Schambach. "Trotzdem glaube ich, dass Frauen besser andocken können, wenn zu den bisherigen Kompetenzen von Führungskräften neue hinzukommen, die eher Frauen zugeschrieben werden", sagt sie.

In vielen Unternehmen stellt sich gerade eine Mischform aus Home-Office und Präsenzzeiten im Büro ein. Genau wie viele Mitarbeiter noch mit dem für sie optimalen Modell experimentieren, befänden sich auch viele Chefinnen und Chefs noch in einem Lernprozess, sagt Michaela Moser. "Die wenigsten können einen Schalter umlegen und Kontrolle so einfach aus der Hand geben", sagt sie. Zwar hätten viele Menschen in leitenden Positionen in den vergangenen Monaten gemerkt, dass zu guter Führung nicht ständige Aufsicht gehören müsse. "Aber wenn sich jemand wirklich stark über Kontrolle definiert, wird er oder sie Corona auch schnell wieder vergessen und zu alten Verhaltensweisen zurückkehren."

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