Rechtsextremismus bei der Polizei:So viele Einzelfälle, so viele Fragen

Drei Polizisten rechtsextremer Straftaten beschuldigt

Gibt es ein Strukturproblem? Polizisten in München.

(Foto: dpa)

In NRW wird gegen Polizisten ermittelt, die in einer Chatgruppe rechtsextreme Inhalte geteilt haben sollen. Fälle wie diesen gibt es leider immer wieder - ein Überblick.

Von Lilith Volkert und Gunnar Herrmann

Chatgruppen mit Hitler-Bildchen und fremdenfeindlichen Sprüchen - der Verdacht gegen 29 Polizisten aus NRW hat Rechtsextremismus bei der Polizei in diesen Tagen zu einem bundesweiten Thema werden lassen. Wieder einmal, denn das Problem taucht seit Jahren regelmäßig in den Medien auf. Und mit ihm die Frage: Sind das Einzelfälle? Oder stimmt etwas nicht mit den Strukturen in der Polizei?

Eine Antwort ist schwierig, denn eine umfassende, bundesweite Studie zu dem Problem fehlt bislang. Und dieser Mangel wird so schnell nicht behoben: Erst im Juli verhinderte Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Studie zum Thema Rassismus bei der Polizei. Kritisiert wurde er dafür nicht nur von der Opposition, sondern auch vom SPD-geführten Justizministerium und von Polizeigewerkschaftern. Denn die Debatte um mögliche rechtsextreme Strukturen beunruhigt schließlich nicht nur die Bürger - sie ist auch eine Belastung für die vielen Beamten, die pflichtbewusst ihre Arbeit für den Rechtsstaat tun.

Umfassende Untersuchungen fehlen also. Dabei legen Medienrecherchen nahe, dass sich ein tieferer Blick auf das Phänomen lohnen könnte. So listet eine Aufstellung des WDR allein 13 Fälle in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren auf. Und der Deutschlandfunk berichtete im vergangenen Jahr sogar von 200 Fällen rechtsextremistischer Umtriebe bei der Polizei, nach einer groß angelegten Recherche bei allen 16 Landesinnenministerien. Ein Überblick über einige der aufsehenerregendsten Fälle der vergangenen Jahre:

Rechtsextreme Chatgruppen: NRW und Bayern

In Nordrhein-Westfalen werden im September 2020 fünf rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt, an denen 29 Polizistinnen und Polizisten beteiligt gewesen sein sollen. Darin wurden unter anderem Fotos von Adolf Hitler und die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer geteilt. Eine der Chatgruppen wurde wahrscheinlich bereits im Jahr 2012 gegründet, spätestens im Mai 2015. Die Betroffenen werden suspendiert, 14 Beamte sollen aus dem Dienst entfernt werden. Ein ähnlicher Vorfall erschüttert bereits Ende 2019 die Münchner Polizei: Dort wird gegen 40 ehemalige und aktive Beamte ermittelt, die seit 2016 antisemitische und volksverhetzende Inhalte in einer Chatgruppe verbreitet haben sollen. Die Sache führt zu mehreren Disziplinar- und Strafverfahren.

Drohschreiben von "NSU 2.0"

Die Anwältin Seda Başay-Yıldız erhält erstmals im August 2018 ein Schreiben, in dem sie und ihre Tochter bedroht werden. Das Fax ist mit "NSU 2.0″ unterschrieben. In den folgenden Jahren erhalten Başay-Yıldız sowie mehrere Politiker, Journalisten und Künstler - mehrheitlich sind es Frauen - rechtsextreme Drohschreiben, deren Absender auf die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Bezug nimmt. In mehreren Fällen wurden vor den Schreiben persönliche Daten an Polizeicomputern in Hessen abgefragt, möglicherweise auch in Hamburg und Berlin. Bei den Ermittlungen in Hessen stößt die Polizei auf eine Chatgruppe, die rechtsextreme Inhalte austauschte.

Verdacht: Polizeiinterna verraten

Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen einen Berliner Polizisten, der AfD-Mitglieder mit Informationen zum Anschlag des Islamisten Anis Amri auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 versorgt haben soll. Der Polizeihauptkommissar wird verdächtigt, wenige Stunden nach dem Terroranschlag und am Folgetag erste Erkenntnisse der Polizei in einer Chatgruppe von zwölf Neuköllner AfD-Mitgliedern und Rechtsextremisten geteilt zu haben. Ein Mitglied der Chatgruppe ist einer von drei Tatverdächtigen im Fall einer rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln. Der Verdacht, dass Polizisten Rechtsextreme in Dienstgeheimnisse einweihen, steht auch bei den Ermittlungen rund um die rechtsterroristische "Gruppe Freital" im Raum. Das Verfahren gegen drei sächsische Beamte wird in diesem Fall jedoch eingestellt.

Waffenlager und Feindesliste

Ein SEK-Polizist wird Mitte 2019 suspendiert und später zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er ein illegales Munitionslager angelegt hat. Er ist Mitglied der Preppergruppe Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern, die von weiteren Polizisten und Bundeswehr-Angehörigen gegründet wurde. Sie wird von der Bundesanwaltschaft als teils rechtsextrem eingeschätzt. Prepper bereiten sich mit dem Horten von Vorräten auf einen Katastrophenfall vor. Nordkreuz hat zudem Listen mit den Namen politischer Gegner angefertigt. Zuletzt wurde bekannt, dass die Gruppe etwa 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellen wollte. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gegen zwei Männer aus der Nordkreuz-Gruppe.

Hitlergruß in Rosenheim

In Rosenheim stehen im Juli 2020 zwei Bundespolizisten vor Gericht, weil sie vor zwei Jahren in einem Lokal in der bayerischen Stadt den Hitlergruß gezeigt haben sollen. Vor dem Amtsgericht schweigen die beiden zu den Vorwürfen. Am Ende wird einer zu einer Geldstrafe verurteilt, der andere aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Deckname "Böhnhardt"

September 2018, Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Berlin: Ein Großaufgebot der Polizei soll den Gast beschützen, darunter zwei Angehörige des sächsischen Spezialeinsatzkommandos (SEK), das zum Landeskriminalamt gehört. Die Beamten geben sich für den Großeinsatz selbst den Decknamen "Uwe Böhnhardt" - Böhnhardt war Neonazi und Mitglied der rechten Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordete und erst 2011 aufflog. Gegen die beiden Polizisten wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

In einer früheren Version dieses Textes stand, dass das erste Fax an Seda Başay-Yıldız von einem Frankfurter Polizeirevier stammt. Wir haben den Fehler korrigiert.

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Polizei Nordrhein-Westfalen

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:Keine zweite Chance

Wenn Beamte, wie in Nordrhein-Westfalen offenbar geschehen, ihre Zustimmung zum fiktiven Bild eines Flüchtlings in der KZ-Gaskammer zeigen, dann müssen sie sofort entlassen werden. Notfalls muss dafür das Disziplinarrecht geändert werden.

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